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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Klappern und Plappern beim Großreinemachen hören, und als sie zur Seite schaute, sah sie die Umrisse einer Gruppe von Gästen, die auf den Steinplatten des Poolbereichs standen und miteinander plauderten. Fehlte nur, dass jemand im falschen Moment zufällig nach oben schaute, dann stünde sie da wie eine Figur aus einem Lawrence-Block-Roman: »Der Dieb, der sich für eine Pastorin hielt«.
    Wäre sie erst einmal unten, dann würde ihr eine breite Bretterwand Deckung bieten, die Schwimmer und Sonnenanbeter nicht nur vor Wind, sondern auch vor dem Anblick von drei großen Mülltonnen schützte. Wie lang brauchte sie wohl, um aus dem Fenster zu klettern, sich fallen zu lassen und von dem Vordach zu rutschen? Eine halbe Minute? Eine ganze?
    Sie hörte den Klang von dumpfen Schritten auf einer Treppe. Dann kam unter dem Dach ein Mann vom Partyservice hervor, in der Hand einen weißen Plastiksack, den er zu der nächsten Mülltonne brachte. Ohne einen einzigen Blick nach oben oder zur Seite zu werfen, schleuderte er den Sack hinein und verschwand wieder nach drinnen.
    Ein »Macbeth«-Zitat aus dem Urschlamm ihres Englisch-Unterrichts fiel Clare ein: »Wenn es geschehn ist, wenn’s geschah, so wäre gut, es wäre schnell geschehn …« Sie sah kurz auf die Sandalen in ihrer Hand. Bogatta Veneta. Italienisches Leder. Von ihrem Captainssold gekauft, als sie noch kein mageres Priestergehalt bezog. Mit einem stillen Gebet, sie möge sie wiederfinden, lehnte sich Clare aus dem Fenster und schleuderte die Schuhe, so weit sie konnte, an dem Licht aus der Küche vorbei, in Richtung der kiesbestreuten Zufahrt. Dann zwängte sie sich nach draußen, bis sie auf der Fensterbank saß, stieg darauf, klammerte sich an den äußeren Rahmen und kniete sich ungelenk hin. Als sie im Begriff stand, den soliden Untergrund der Fensterbank aufzugeben, bohrte sie ihre Fingernägel noch tiefer in das Holz – streckte ihre Beine und ließ sich hinabgleiten. Während sie immer tiefer rutschte, schnitt ihr das scharfkantige Sims in den Unterleib. Sie zupfte einen Augenblick an ihrer Kleidung; mit einem befreienden Gefühl sprangen zwei seidenbezogene Knöpfe von ihrem Jackett, um leise klappernd in die Dunkelheit jenseits des Hofs zu verschwinden. Dann ließ sich Clare, so weich und geschmeidig sie konnte, auf das Vordach fallen. Sie schlitterte auf der Seite hinab und stürzte kopfüber zu Boden, dass es ihr den Atem verschlug.
    In der Küche drinnen sagte jemand: »Was, zum Teufel, war das denn?« Clare rappelte sich auf, taumelte nach hinten und prallte an einer der Gummitonnen ab.
    Eine Frau mit einer großen weißen Schürze erschien in der Küchentür. »Hallo?«, rief sie in die Nachtluft hinaus, und dann, als sie Clare schwankend neben dem Müll entdeckte: »Entschuldigung? Kann ich Ihnen helfen?« Sie beäugte misstrauisch Clares nackte Füße und das weit auseinander klaffende Jackett. Fröhlich lächelnd sagte Clare: »Tolle Party!«, und ließ dabei ihren Südvirginia-Akzent durchklingen, um sich betrunken anzuhören. Betrunkener, verbesserte sie.
    Die Frau vom Partyservice kniff die Augen zusammen. »Alles okay mit Ihnen?«, fragte sie und sah dann hinten in die Küche. »Warum kommen Sie nicht mit rein und lassen sich von mir einen Kaffee geben?«
    Clare packte ihr Jackett und presste ihre Zehen in den Boden. »Vielen Dank, Ma’am. Ich gehe einfach vorne raus. Auf meine Mitfahrgelegenheit warten.«
    »Sie brauchen bestimmt eine Mitfahrgelegenheit.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Ja, Ma’am«, antwortete Clare und entbot des Effekts halber einen Salut, bei dem ihre Jacke viel nackte Haut entblößte.
    Die Frau lächelte unsicher. »In Ordnung. Gute Nacht also.«
    Mit einem Winken durchquerte Clare den Hof und marschierte geradewegs in Richtung der Zufahrt, bis die Frau im Haus verschwunden war. Dann suchte sie an den Rändern des Kieswegs nach ihren Sandalen – forschte überall zwischen Gras, Schmutz und Steinchen. Das Einzige, was sie bekam, waren ein paar zusätzliche Mückenstiche. Sie gestattete sich einen halblauten Fluch. Diese Schätzchen ließen sich von Clares Priestergehalt unmöglich ersetzen. Sie gab die Suche auf und ging zu ihrem Fahrzeug, das auf der anderen Seite des Hauses stand.
    Das Verdeck des Kabrios war geschlossen, weil sie Handtasche und Schlüssel im Wagen gelassen hatte. Nicht einmal sie war sonst so leichtsinnig, aber hier, auf einem geschlossenen Anwesen in den Bergen, hatte sie ihrem Impuls

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