Die Rote Spur Des Zorns
seufzte. »Ich bitte Sie, benutzen Sie doch Ihren Verstand. Wenn Sie jemand verhaftet, dann würden Sie’s doch sofort auf mich abwälzen. Und ich bin nicht scharf darauf, meine Bestände das Klo runterzuspülen. Wenn ich Sie reinlege, würde ich mir doch nur selbst schaden. Für mich ist es viel gewinnbringender, Sie bei Laune zu halten. Genau wie es für Sie gewinnbringender ist, still auf Tauchstation zu bleiben. Wenn Sie nicht durchdrehen, kriegen wir doch noch, was wir wollen.«
»Nur für Bill Ingraham ist es zu spät.«
Malcolms Stimme wurde scharf. »Bill hat sein ganzes Leben gekriegt, was er wollte. Irgendwann muss man sich von seinem gemütlichen Sofa wälzen und jemand anderen ranlassen. Da. Nehmen Sie.«
Clare spitzte die Ohren, aber das fließende Gitarrenriff und das Horn von »Lie in Our Graves« übertönte alles, was leiser als eine Stimme war.
Zuletzt redete wieder der andere. »Meinetwegen.«
»Gut. Gehen Sie zurück auf die Party?«
»Soll das ein Witz sein? Ich werd dieses Ding unter dem Sitz meines Autos verstecken und schön vorschriftsgetreu nach Hause fahren. Und Sie?«
»Ich werde ein bisschen herumtelefonieren und schauen, ob ich einen Deal zustande kriege. Wiedersehen, Mann, und seien Sie unbesorgt. Ich werde mich um Sie kümmern.«
Clare fand, das klang nach einem Grund, um sich allerhand Sorgen zu machen. Und dann begriff sie mit einem Mal: Malcolm würde nicht wieder nach unten gehen.
Der Abschiedsgruß wurde nicht erwidert. Nur ruhige Musik ertönte in der Stille. Clare stellte sich vor, wie Malcolm seine Jacke aufs Bett warf – über einen Koffer, der mit einem Revolver und dicken Heroinpäckchen vollgestopft war. Vielleicht handelte es sich auch gar nicht um Heroin. Sie war über die aktuellen Drogentrends nicht informiert. Ein hysterisches Lachen quoll in ihrer Brust empor, und sie presste sich beide Hände aufs Zwerchfell – unterdrückte mit aller Macht diese Anwandlung.
»Hey, Joe. Ich bin’s, Mal. Hör mal, Mann, ich ruf an, weil du gesagt hast, ich sollte dich kontaktieren, wenn ich mal was Größeres auf Lager hätte.«
Er hing an der Strippe und telefonierte mit Leuten, die bereit wären, zehntausend Dollar für verbotene Drogen zu zahlen. Clare rieb sich das letzte Restchen Lippenstift vom Mund. Was er wohl mit einer Frau tun würde, die seine Verhandlungen belauschte? Was seine Kunden erst mit ihr tun würden? Irgendeine Vorstellung?
24
Z eit zum Absprung, dachte Clare. Und da Malcolm es sich für einen Abend mit Telefonaten und Musik gemütlich machte, blieb ihr nur ein einziger Ausweg. Sie hob ihre Schuhe auf, drückte sie fest an den Bauch und schlüpfte zwischen dem Duschvorhang und der kühlen Kachelwand hindurch. Flach, flach, flach, ermahnte sie sich dabei pausenlos.
Mehrere Vorhangringe schoben sich geräuschvoll die Stange entlang. Für Clare klang es wie eine Alarmsirene. Einen Moment stockte ihr der Atem, und sie zwang sich zum Weitermachen, bis sie in ihren Strümpfen neben der Toilette stand. Durch den Türspalt konnte man nicht schauen, wenn man nicht direkt davor war, aber es fiel genug Licht aus dem Zimmer herein, um alle Einzelheiten des Bades erkennen zu können.
Die Einzelheit, für die Clare sich interessierte, war das Fenster.
Es besaß das gleiche Format wie die Fenster nebenan, größer als in Badezimmern üblich. Hier oben im ersten Stock und mit den Bergen gegenüber brauchte Malcolm wohl nicht viel Sichtschutz, vermutete Clare. Und wie das eine Fenster im Schlafzimmer war auch dieses geöffnet, die untere Hälfte bis fast in die Mitte hinaufgeschoben. Clare drückte auf die Feststellriegel am Rahmen und stemmte ihn hoch, so gut es ging. Das Geräusch, mit dem er einrastete, klang für sie wie ein Gewehrschuss.
Hinter ihr schwatzte Malcolm weiter drauflos, und die Dave-Matthews-CD war zum Anfang zurückgekehrt. Das jazzige »So Much to Say« ertönte. Clare liebte das Crash -Album, aber sie fragte sich, ob sie es nach dem heutigen Abend je wieder würde hören können. Sie öffnete das Fenster bis obenhin, stellte es fest und streckte den Kopf hinaus, um ihren Fluchtweg zu betrachten.
Die gute Nachricht war, dass Malcolms Bad offenbar auf ein Vordach von knapp zwei Quadratmetern führte – die Höhe wäre kein Problem, wenn Clare sich von der Fensterkante hinabfallen ließ –, die schlechte Nachricht, dass dieses Vordach oberhalb der Küche lag. Unter dem jazzigen Rhythmus der Dave-Matthews-Band konnte sie das Klirren,
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