Die Rote Spur Des Zorns
als Randfigur. Wir konnten ihn unter der Adresse seiner Freundin ausfindig machen, aber die sagt, sie hätte ihn seit Montagmorgen nicht mehr gesehen.«
»Dem Tag nach Bill Ingrahams Ermordung.«
»Richtig. Noble hat sich überall umgehört: an Colvins Arbeitsplatz, bei seinen Verwandten, in den Kneipen und Plätzen, wo er sich gerne herumtrieb – seit Montag keine Spur von ihm. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Und gleichzeitig wird Dessaints Leiche entdeckt. Ich frage mich, ob auch er einen Campingausflug gemacht hat.«
»Was soll das heißen?«
»Dessaint hat an einer abgelegenen Stelle in den Wäldern kampiert. Hätte seine Leiche nicht einen Schwarm Aasfresser angelockt, hätten wir ihn garantiert nicht gefunden.«
Clare rümpfte die Nase. »Das ist ja grauenhaft. Und er starb an einer Überdosis? Unbeabsichtigt?«
»Weiß nicht. Es ist schon enorm praktisch, dass der Einzige, der wusste, wer mit Geld und Drogen für die Überfälle bezahlt hat, sich ein paar Tage nach Ingrahams Tod eine Überdosis spritzt.«
»Aber wenn Sie meinen, dass sich vielleicht dieser Jason Colvin vorhin mit Malcolm unterhielt, dann kann Chris Dessaint unmöglich als Einziger Bescheid gewusst haben.« Clare hob ein Bein und klemmte es unter das andere. »Wenn Malcolm Wintour derjenige war, der die Fäden zog, vielleicht versucht er dann jetzt, sie abzuschneiden. Vielleicht war der Stoff, den er Dessaint gegeben hat, mit etwas anderem versetzt. Und nun kommt also Jason Colvin zu ihm. Vielleicht war das Päckchen, das er ihm gab, gar nicht als Bezahlung gedacht, sondern zum persönlichen Gebrauch …«
»Angenommen, Colvin wäre regelmäßiger Drogenkonsument, dann wäre davon auszugehen, dass er sich eine Kostprobe genehmigt. Selbst wenn er vorhat, den Großteil der Ware zu verkaufen.« Russ verlangsamte vor einer T-förmigen Kreuzung und bog dann nach links ab, Richtung Stadt. »Nur fällt es mir schwer, in Malcolm Wintour den Hauptverbrecher zu sehen. Wieso? Was springt für ihn heraus? Selbst angenommen, die Verschmähter-Liebhaber-Theorie träfe zu, wäre das Ganze doch viel zu kompliziert. Leute, die wütend auf ihren Liebhaber sind, weil er sie abserviert hat, schnappen sich die nächstbeste Kanone und knallen ihn oder sie ab. Die heuern keinen Haufen Kerle an und arrangieren Unfälle, um die Spuren zu verwischen. Und außerdem behauptet McKinley, der Typ, der sie engagiert hätte, teile ihre Meinung über Schwule. Er habe ihnen einen Denkzettel verpassen wollen. Aber Wintour ist schwul. Der lässt doch nicht seinesgleichen zusammenschlagen.«
»Homosexuelle, Russ, sind kein Geheimbund mit einem Händedruck als Erkennungszeichen und Brüderschaftsgelöbnis. Und nach allem, was ich gehört habe, ist der einzige Mensch, dem Malcolm sich verbunden fühlt, er selbst. Vielleicht auch noch seine Tante.« Clare drehte sich abermals auf ihrem Sitz herum. »Das ist noch so ein Grund, weshalb er es getan haben könnte. Er wohnt bei Peggy Landry, ist für Kost, Logis und Lebensunterhalt auf sie angewiesen.«
»Aber er dealt doch …«
Sie winkte ungehalten ab. »Kleinigkeiten. Ich will auf das große Ganze hinaus …«
»Ah!«
»Er wohnt bei seiner Tante, dem einzigen Menschen, dem er sich verbunden fühlt, sowohl aus Eigennutz als auch durch echte Sympathie. Er vermutet, dass sie am Ende ist, wenn das Algonquin-Bad nicht fertig gestellt wird. Und genau das hat Bill Ingraham ja in Betracht gezogen. Also räumt er Bill aus dem Weg. Oder fädelt es so ein, dass –« Sie stockte.
Russ brauchte gar nicht erst zu fragen. Er wusste, dass sie in Gedanken bei Ingrahams Leiche war, die sie an jenem Abend gefunden hatte.
»Das Problem an dieser Theorie ist nur«, sagte er, um sie abzulenken, »dass Emil Dvorak am gleichen Abend überfallen wurde, als Ingraham auf der Bürgerversammlung damit drohte, das Projekt aufzugeben.«
Clare betrachtete ihn mit einem aufmerksamen Gesichtsausdruck, der darauf schließen ließ, dass sie in die Gegenwart zurückgekehrt war. »Sicher. Aber es ist anzunehmen, dass Ingraham diese Option mit seinen Geschäftspartnern zumindest erörtert hat. Und wenn Peggy es wusste, dann konnte auch Malcolm davon wissen. Vielleicht hatte er es vor ihrer Trennung sogar selbst mit ihm besprochen. Andererseits« – sie hob ihre Hand, um eine weitere Möglichkeit anzudeuten – »behauptet niemand, mit dem ich mich unterhalten habe, Malcolm sei in irgendwelcher Form ein Genie, geschweige denn kriminell. Seine Tante
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