Die Rote Spur Des Zorns
Bluterguss.«
Peggy berührte leicht ihr Gesicht. »Mir fehlt nichts. Ich bin wacklig auf den Beinen – völlig durcheinander.«
Clare drückte ihr den Arm. »Dazu haben Sie auch allen Grund.«
Während sie Peggy den Berg hinabführte, murmelte sie ihr beruhigend zu, hörte sich weiter Peggys aufgeregtes Gebrabbel an, lauschte aber die ganze Zeit nach einem Lebenszeichen von Russ. Peggy kam immer wieder auf Leo Waxman zu sprechen und wie er dort am Grund der Felsspalte liege. »Angenommen, er lebt noch – wird die Bergrettung ihm helfen können? Wird sie nicht furchtbar lang brauchen? Wie stehen wohl seine Chancen?«
»Wenn diese Spalte so steil ist, wie ich vermute, dann wird man für seine Bergung lange brauchen«, bestätigte Clare. »Sie werden Rettungskräfte und Geräte dort runterlassen und ihn auf eine Bahre schnallen müssen, um ihn durch den Steinbruch zurückzuschaffen. Das ist ein Umweg. Entweder das oder man muss sich eine Methode ausdenken, ihn aus dieser Schlucht herauszuhieven, ohne dass er noch weiter verletzt wird. Ich fürchte, Sie müssen sich auf das Schlimmste gefasst machen. Wenn er nicht nur bewusstlos war, als Sie nach ihm geschaut haben, dann stehen seine Überlebenschancen wohl schlecht.«
»O Gott.« Peggy stöhnte.
Sie näherten sich der Stelle, wo der Weg auf die holperige Straße zum Hubschrauberplatz mündete. Clare erkannte den süßlichen, verwesungsähnlichen Geruch des Weins mit den weißen Blüten wieder, der sich an den Bäumen hochrankte, und – der Gedanke traf sie mit solcher Wucht, dass sie wie angewurzelt stehen blieb. Sie wirbelte zu Peggy herum. »Ich weiß, wie wir an ihn rankommen!«
»Was?«
»Ich meine, an Waxman. Wir brauchen nicht auf die Leute von der Bergrettung zu warten. Ich hole ihn selbst dort raus. Mit dem Firmenhubschrauber.«
»Was?« Peggys zweites »Was?« war eher ein Schrei als eine Frage.
»BWI hat hier auf der Baustelle einen Hubschrauber bereitstehen. Ich bin schon drin gewesen. Es gibt einen Verbandskasten und, was noch wichtiger ist, ein Transportnetz.« Sie blickte zum Himmel hinauf, als könne sie durch das Laubdach sehen. »Das ist natürlich ganz mieses Flugwetter. Die hohe Luftfeuchtigkeit wird die Sache sehr verlangsamen, aber es ist windstill. Sobald ich über der Schlucht bin, kann ich dort im Schwebeflug bleiben, und Russ holt Waxman raus.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein!« Peggys Gesichtsausdruck machte Clare bewusst, dass nur wenige Leute sich mit solcher Überzeugung für fähig erklärten, eine Luftrettung durchzuführen.
»Schon in Ordnung«, sagte sie. »Ich war Pilotin bei der Army. Ich habe Tausende Stunden Flugerfahrung.«
»Tatsächlich! Es ist Ihr Ernst.«
»Schnell!« Clare legte einen Schritt zu. »Schauen wir, dass wir zu Ihrem Handy kommen. Dann verständigen wir schon mal die Klinik und fragen, was wir für ihn tun können. Anschließend laufe ich zu dem Hubschrauberlandeplatz und beginne mit den Startvorbereitungen.« Sie runzelte die Stirn. »Ich hoffe nur, Mr. Opperman ist nicht nach Baltimore oder sonst wohin geflogen.«
Sie eilten im Laufschritt zur Baustelle. Peggy war eingefallen und aschfahl, und Clare bekam Gewissensbisse, dass sie ihre Begleiterin nach all dem Schrecklichen, was sie erlebt hatte, derart vorwärts trieb. Doch niemand, auch Leo Waxman nicht, verdiente es, einsam und verlassen am Grund einer Felsspalte zu sterben. Nicht, solange Clare ihm helfen konnte.
Sie seufzte vor Erleichterung, als sie die Abzweigung zur Baustelle erreichten.
»Augenblick!« Peggy hielt sie am Arm fest. »Lassen Sie mich telefonieren. Und vielleicht sollte ich auch ein, zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank im Büro holen?« Peggy lächelte schwach. »Laufen Sie nur schon zu dem Hubschrauber und tun Sie das Nötige. Ich komme dann nach. So geht es schneller.«
»Sie haben Recht«, antwortete Clare. »Schaffen Sie es denn auch bestimmt allein?«
Peggy lächelte noch einmal, zuversichtlicher. »Bis hierher hab ich es ja auch geschafft, oder?«
Clare schloss sie stürmisch in die Arme und drückte sie kurz an sich. »Ja, das haben Sie. Bis gleich also!« Sie legte den Weg zum Hubschrauberlandeplatz im Laufschritt zurück, sodass sie schweißgebadet und atemlos dort ankam.
Der Bell stand genau so, wo sie ihn verlassen hatte – thronte inmitten einer rechteckigen Asphaltfläche. Clare probierte die Tür. Nicht abgeschlossen. Der Schlüssel steckte noch in der Zündung. »Danke, Herr«, sagte sie. Sie
Weitere Kostenlose Bücher