Die Rote Spur Des Zorns
noch in derselben Sekunde, wie er bis über beide Ohren errötete. Gott! Was für eine saublöde Bemerkung!
Auch Clare stieg die Röte ins Gesicht. Sie schluckte schwer, sagte aber kein Wort. Russ’ Gedanken überschlugen sich, so fieberhaft suchte er nach irgendetwas, um das Schweigen zu brechen. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken.
»Haben Sie schon etwas von Paul Foubert gehört?«, platzte es aus ihm heraus.
Clare blinzelte. »Nein.« Und dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Nein!«, wiederholte sie mit unverkennbarer Erleichterung. »Ich habe noch nichts von ihm gehört. Und Sie?«
»Am letzten Freitag. Emils Zustand sei ernst, aber stabil. Allerdings ist er immer noch nicht bei Bewusstsein, deshalb gibt es noch nichts Neues.« Jetzt fühlte sich Russ wieder ruhiger, obwohl seine Ohren nach wie vor glühten. »Wir fahnden weiterhin nach dem beteiligten Transporter, wenn auch bisher ohne Erfolg. Aber drei Sheriffbehörden und die State Police helfen mit, das heißt, wir haben ein ziemlich breites Fahndungsnetz. Ich bin zuversichtlich.«
Ein magerer Teenager mit Helfer-Shirt, der an ihnen vorbeistürmte, hielt inne. »Hey, wenn Sie mitlaufen wollen, dann sollten Sie jetzt besser rüber zum Start«, sagte er zu Clare. »Es ist gleich so weit.«
»Ich muss«, verabschiedete sie sich, anscheinend sehr erleichtert. »Wünschen Sie mir Glück.«
»Hals-und Beinbruch!«, rief Flynn.
Clare und Russ sahen ihn beide an. »Kevin –«, begann Russ, aber Clare fiel ihm ins Wort.
»Vielen Dank, Officer Flynn. Wir sehen uns an der Zielgeraden.« Und damit rannte sie zu den Läufern in einem Viereck aus Absperrband, das im Wind knatterte.
Russ schob seine Finger unter die Brille und kniff sich in den Nasenrücken. Noch mal davongekommen! »Kevin, ich dreh mal eine Runde um den Park und –« Der Schrei der Zuschauer schnitt ihm das Wort ab. Die Startschiedsrichterin war herumgewirbelt, hatte ihre Flagge gesenkt, und die Läufer stürzten vorwärts, durch den Parkeingang und auf die Mill Street hinaus. Russ lehnte sich an den Streifenwagen und schaltete das Mikro ein. »Zentrale, hier Fünfzehn-siebenundfünfzig.«
»Fünfzehn-siebenundfünfzig, ich höre.«
»Die Läufer haben jetzt den Park verlassen. Erinnern Sie die Jungs bei der Kreuzung daran, dass wir von den Veranstaltern grünes Licht kriegen müssen, ehe wir den Verkehr wieder freigeben. Ich möchte nicht, dass ein paar Nachzügler unter die Räder kommen.«
»Verstanden, Fünfzehn-siebenundfünfzig. Wird erledigt.«
Russ hängte ein. »Kevin, ich demonstriere jetzt Polizeipräsenz. Bleiben Sie hier beim Wagen.« Solange die drei Frauen hier herumhingen, bedurfte es wohl eines größeren zivilen Notfalls, um den Officer zum Aufgeben seiner Stellung zu veranlassen. Aber Kevin konnte man die Dinge ruhig zweimal sagen.
Russ schlenderte an der Außengrenze des Parks entlang. Er sah und wurde gesehen, grüßte die Leute, die er mit Namen kannte, hielt dabei aber stets Ausschau nach jenen Misstönen, die Ärger prophezeiten. Da war ein bärtiger Mann, der den vierten Juli etwas zu stark gefeiert hatte. Ein Paar, dessen Streit, als Russ vorbeikam, lauter wurde und wieder verklang. Ein Mädchen-Duo mit knochigen Schultern, das Russ’ Blick geflissentlich vermied. Im großen Ganzen aber war es eine unproblematische Gesellschaft. Richtige Schwierigkeiten würde es erst dann geben, wenn die Läufer weg waren und die Musikgruppen spielten, nach Einbruch der Dunkelheit, dann wurden die Flaschen aus ihrem Versteck geholt, die Familien samt ihren müden Kindern hatten zusammengepackt, und das Partyvölkchen, das übrig blieb, würde Lust auf mehr haben. So schön Russ einen sonnigen vierten Juli fand, heute war er dankbar für das kühle Lüftchen und die dicken Wolken. Der Gewitterhimmel sorgte dafür, dass nicht so viele Leute dem Feuerwerk beiwohnten wie sonst. Und wenn das Ganze ins Wasser fiel, könnte er vielleicht sogar ein paar seiner Beamten abziehen und heimschicken.
Als sich Russ der mit Fahnentuch geschmückten Tribüne näherte, sah er kurz auf die Uhr. Die ersten Läufer mussten die Hälfte der Strecke schon hinter sich haben. In seiner Glanzzeit – er wollte lieber nicht daran denken, wie lange das her war – hatte er zehn Kilometer in nicht einmal einer Dreiviertelstunde geschafft. Und das in Armeestiefeln, nicht in solchem schicken, dreifach-gepolsterten, aufprall-gedämpften Firlefanz, der sich heute »Sportschuhe« schimpfte. Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher