Die Rote Spur Des Zorns
Werkshalle verlief. Zwei steile Treppen führten dort hinab. Unter diesem Laufsteg fiel spärliches Licht durch Fenster, die Russ nicht sehen konnte. Die Halle war mit mächtigen Maschinen gefüllt, Kolossen aus schwarzem Eisen, und ein Wirrwarr von Tauen und Flaschenzügen hing in Laufschienen an der Decke.
Ein Geräusch drang herauf, eine Art Scharren, und Russ erstarrte erneut. Dann ertönte ein Klirren von Metall. Zu laut, als dass es von einem Tier stammen konnte. Russ machte einen Moment die Augen zu und spitzte die Ohren. Der Geruch von Eisen, Moder und Mäusedreck hing in der Luft. Er lauschte noch mal kurz, dann warf er sich bäuchlings auf den Boden. Wenn er die Treppe hinunterginge, wäre er die reinste Zielscheibe. Er sah sich um. Der einzige andere Weg nach unten war eine zweite, ebenso offene Treppe am gegenüberliegenden Ende. Russ glaubte auch Türen zu erkennen, aber zweifellos war McKinley in die Halle hinabgeflüchtet. Er müsste also ebenfalls dort hinunter.
Zum ersten Mal seit Jahren erinnerte sich Russ plötzlich an einen Streit mit einem irrsinnigen Second Lieutenant. Sie hatten im Buschwerk am Fuß eines stark befestigten Hügels gekauert – die Nummer diese Hügels wusste er nicht mehr. Alle Hügel in Vietnam hatten Nummern, niemals Namen. Er und der Lieutenant sollten das gottverdammte Ding einnehmen, und er hatte diesem elenden Neuling gesagt, es sei Wahnsinn, von unten anzugreifen, in das offene Gewehrfeuer des Feindes. »Das ist nicht Wahnsinn«, antwortete der Lieutenant, »es ist unser Job.«
Russ rief sich ins Gedächtnis, dass er sich seinen jetzigen Job selbst ausgesucht hatte. Er war ihm lieber gewesen als die Leitung eines Sicherheitsdienstes in Phoenix. Auf dem Bauch liegend, drehte er sich um die eigene Achse, ließ seine Beine über den Rand der leiterähnlichen Treppe gleiten und ertastete die erste Stufe. Während er hinabrutschte, ließ er die Hände locker über das Geländer gleiten und nahm eine Stufe nach der anderen: eins, zwei, drei, vier … Dann ertönte ein lautes Knacksen, sein Fuß trat ins Leere, gefolgt von seinem Körper. Russ stürzte durch das splitternde Holz, bis er am Geländer Halt fand und mit einem Ruck hängen blieb, der ihm fast die Schultern ausrenkte. Das eine Bein schmerzhaft nach hinten gekrümmt, schwebte er über dem Boden. Wirbelnder Holzstaub brachte ihn zum Husten. Während er sich wieder am Geländer hochhievte und Tritt zu fassen versuchte, fühlte er förmlich die Revolvermündung, als wäre es ein Teleskopstab, der sich ihm erst in den Rücken drückte, dann zum Hinterkopf hinaufwanderte. Mit prickelnden Haarwurzeln und mit kaltem Angstschweiß unter seinem Uniformhemd hing er zwischen den Stufen. Da hörte er wieder ein Geräusch von irgendwo unten zwischen den Maschinen. Ihm fiel ein, dass der Second Lieutenant nicht lange überlebt hatte. Er ließ das Geländer los, sackte noch tiefer durch die zerbrochene Treppe und stemmte seine Hände auf die erstbeste Stufe, um sich vorwärts zu stoßen, genau wie vorhin am Fenster. Er verlor keinen Moment mit Nachdenken. Er hielt sich an der Stufe fest, auf die er sich gestemmt hatte, und ließ auch Oberkörper und Schultern durch das Loch in der Treppe gleiten.
Er stürzte tief genug, um seine Impulsivität zu bereuen. Aber er hatte als junger Mann gelernt, wie man richtig landet, und sein Körper erinnerte sich an die Lehrstunden, obwohl ihm dreißig Jahre später die natürliche Spannkraft fehlte, dank der Russ damals wieder aufgesprungen und weitergerannt wäre. Nun brach er stattdessen auf dem Holzboden zusammen, schaffte es aber, sich auf den nächsten Webstuhl zuzurollen und in dessen Schatten zu verkriechen.
»Elliott McKinley!«, brüllte er. »Polizei! Lassen Sie Ihre Waffe fallen und kommen Sie mit erhobenen Händen raus!« Das Schreien tat ihm in den Rippen weh. Er hörte dumpfe Schritte, ganz deutlich, konnte jedoch nicht bestimmen, woher sie kamen. Er rollte sich von dem Webstuhl weg, rappelte sich auf die Knie und erhob sich dann vorsichtig zu voller Größe, wobei er seinen Revolver zog. Es war nichts zu sehen außer den altertümlichen Maschinenreihen, Tauen und Flaschenzügen. Er pirschte sich vorwärts, indem er seine Füße von den Fersen auf die Ballen abrollte, um möglichst leise zu sein. Wieder hörte er ein Scharren und ein metallisches Klirren – diesmal direkt vor ihm. Er musste jetzt ganz nah am Fluss sein.
»McKinley!« Russ duckte sich erneut, um weniger
Weitere Kostenlose Bücher