Die roten Blüten der Sehnsucht
äußern«, wehrte er schmallippig ab. » Mein Auftraggeber hat mich zu absoluter Vertraulichkeit verpflichtet. Nach meinem Gespräch mit Mr. Rathbone steht es diesem frei, mich davon zu entbinden. Bis dahin muss ich Sie jedoch bitten, nicht in mich zu dringen.«
» Alter Spielverderber!« Percy schnitt ihm quer durch das Zimmer eine Grimasse. » Na, wir sind jedenfalls nicht zum Schweigen verpflichtet.« Er blinzelte Catriona schelmisch zu. » Sollen wir es ihnen verraten, Schwesterherz?«
Andrew Billingsworth räusperte sich. » Mr. Grenfell, als Anwalt Ihres Onkels möchte ich ganz entschieden davor warnen …«
» Schon gut, schon gut.« Percy grinste und ließ sich in einen Sessel plumpsen. » Wir sind doch alle eine Familie. Kein Grund, sich aufzuplustern, alter Junge.– Onkel Hugh ist davon überzeugt, endlich seinen verschollenen Sohn und Erben aufgespürt zu haben. Und ich muss sagen, es sieht schon verflixt danach aus, dass er recht haben könnte«, erklärte er.
Lady Chatwick schnappte hörbar nach Luft. Ihr hatten sie nichts von dem seltsamen Brief erzählt, weil Ian meinte, sie sei schon so anstrengend genug. Wenn sie von dieser Geschichte Wind bekäme, würde ihre Neugierde unerträglich werden.
Percy gönnte sich einige Sekunden, die Reaktion auf seine Enthüllung zu genießen, ehe er fortfuhr: » Ich muss zugeben, zuerst dachte ich, dieser Gauner versuchte nur, sich ein hübsches Sümmchen zu erschwindeln. Aber dann…« Er schüttelte immer noch ungläubig den Kopf.
» So geht es nicht. Du musst es schon der Reihe nach erzählen«, warf Catriona ein. » Es geht darum, dass unser Onkel sich urplötzlich einbildete, sein vor über zwanzig Jahren verschwundener Sohn wäre noch am Leben«, fügte sie an Dorothea und Lady Chatwick gewandt hinzu. » Er verschwand im Alter von drei Jahren spurlos, mitsamt seinem Kindermädchen.«
» Erzähle ich die Geschichte oder du?« Percy wirkte nicht allzu erfreut über die Einmischung seiner Schwester.
» Du natürlich, mein Lieber!« Catriona lächelte süßlich. » Aber zäum das Pferd nicht von hinten auf.«
» Also gut: Als unser Onkel und seine Frau damals von einer Kartengesellschaft zurückkamen und noch einmal nach dem Kleinen sehen wollten, war sein Bett leer. Das Fenster stand sperrangelweit offen, und das Kindermädchen war ebenfalls nicht auffindbar. Obwohl die Dienerschaft sofort ausschwärmte und alle Stallungen und Nebengebäude durchsuchte, blieben beide verschwunden. Am nächsten Morgen wurden Suchtrupps in alle Himmelsrichtungen gesandt, und einer kam mit einem Fetzen zurück, der einwandfrei identifiziert wurde: Er stammte vom Nachthemd des Kleinen. Ein Stallbursche hatte ihn an einem Haselbusch direkt am Flussufer entdeckt. Natürlich wurde sofort flussabwärts nach der Leiche des Kindes gesucht, aber vergebens. Meine Tante verlor darüber den Verstand.«
Dorothea verkrampfte unbewusst die Finger ineinander. Nur zu gut konnte sie die Verzweiflung der Mutter nachfühlen. Hatte sie nicht ähnlich empfunden, als ihr erster Sohn von Ian eines Morgens kalt und steif wie eine Holzpuppe in seinem Steckkissen gelegen hatte? Niemals würde sie diese matten, blinden Augen vergessen, die sie Hilfe suchend anzustarren schienen, bevor Mrs. Perkins ihm sanft die Lider geschlossen hatte. Kaum hörte sie, wie Percy in seiner Erzählung fortfuhr.
» Bei der amtlichen Anhörung meinte der Friedensrichter, vermutlich sei der Kleine, vom Kindermädchen unbemerkt, aus dem Fenster geklettert, zum Fluss gelaufen und dort ertrunken. Er führte gerade ungewöhnlich viel Wasser, deswegen sei der kleine Körper wohl auch sehr schnell davongetragen worden. Das Kindermädchen hätte sich dann aus Angst vor Strafe heimlich davongemacht. Es schien die einzig mögliche Erklärung, und niemand hat sie je angezweifelt, bis Onkel Hugh sich vor einigen Jahren plötzlich einbildete, er hätte von seinem Sohn geträumt.«
» Einfach so?« Lady Chatwick runzelte die Stirn. » Gab es nicht vielleicht irgendeinen äußeren Anlass dafür? Ein schweres Nervenfieber oder so etwas?«
Percy hob gleichmütig die Achseln. » Nicht dass ich wüsste. Onkel Hugh war, bis ihn dieser Reitunfall voriges Jahr zum Krüppel machte, stets bei bester Gesundheit. Unser Vater versuchte natürlich, ihn zur Vernunft zu bringen, aber es war umsonst. Mein Onkel schreckte nicht einmal davor zurück, einen Detektiv von Scotland Yard anzufordern, damit er ihn mit den entsprechenden Nachforschungen
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