Die roten Blüten der Sehnsucht
Teil, um ihren Schafen den Zugang zu den Tränken zu erleichtern.
» Wie kann man nur so dumm sein, sie völlig unnötig gegen sich aufzubringen!«, hatte Ian sich schon öfter ereifert. » Kein Wunder, dass sie sich feindselig verhalten, wenn man ihnen so kommt. Ich habe Morphett schon öfter geraten, ein Übereinkommen mit ihnen zu suchen, und er ist eigentlich ein ganz vernünftiger Bursche. Er würde es tun. Aber diese Kerle, die er anstellt, machen sich ja einen Spaß daraus, die Schwarzen zu provozieren. Das wird noch übel enden«, schloss er dann meist düster. » Nur gut, dass wir hier ein gutes Verhältnis zu ihnen haben. Man schläft doch viel ruhiger.«
Ihr erster Mann, Robert Masters, hatte die Sitte eingeführt, King George und seine Leute mit Schafen zu entschädigen. Ian hatte das fortgeführt. Es funktionierte gut. Zumindest im Einflussbereich des alten Häuptlings hatten sie kaum Verluste an Tieren zu beklagen.
Eine gebeugte Gestalt, die sich schwer auf einen Speer stützte, während sie sich dem Haus näherte, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. King George war alt geworden. Sehr alt. Weiß war seine üppige Haarpracht gewesen, seit sie ihn kannte. Aber der sehnige, kräftige Körper und das immer noch prächtige Gebiss, dessen weiße Zähne immer aufblitzten, wenn er lachte– und er lachte oft–, hatten ihn jünger wirken lassen. Der letzte Winter jedoch hatte ihm schwer zu schaffen gemacht. Eine üble Erkältung hatte sich zu einer Lungenentzündung entwickelt, von der er sich immer noch nicht erholt hatte.
» Ich fürchte, wir müssen uns darauf einstellen, dass wir es bald mit Worammo zu tun haben werden. Schade um den alten Knaben. Er ist ein feiner Kerl– was man von seinem Nachfolger nicht sagen kann.« Unwillkürlich kam Dorothea diese Bemerkung Ians in den Sinn, während sie beobachtete, wie der alte Aborigine sich mühsam auf das Haus zubewegte. Nur sein Stolz und sein Speer aus Akazienholz hielten ihn aufrecht. Sie beeilte sich, in ihr bestes Tageskleid zu schlüpfen. Ihre Mutter hatte es erst vor wenigen Wochen fertiggestellt: schlicht, aber elegant, aus fein gestreifter indischer Dupionseide und so geschickt geschnitten, dass Dorothea es ohne Hilfe an- und ausziehen konnte. Es wurde nicht im Rücken mit den üblichen Häkchen geschlossen, sondern der überlappende V-Ausschnitt konnte bequem seitlich mit einem größeren Haken fixiert werden. Ein ausladender Kragen aus Brüsseler Spitze sorgte für die Schicklichkeit und verhüllte das zwangsläufig tiefe Dekolleté.
Als sie die Treppe herunterlief, wurde King George gerade herzlich von Heather begrüßt, die es offenbar vorgezogen hatte, ihr Frühstück mit nach draußen auf die Terrasse zu nehmen. Dorothea schloss daraus, dass sie sich wieder einmal mit Robert in die Haare geraten war, und bemühte sich, ihren Unwillen zu unterdrücken. Mussten die beiden sich ständig aufführen wie Hund und Katz?
» George! Ich freue mich, dich zu sehen«, rief sie und streckte dem alten Mann die Rechte entgegen. » Was führt dich zu uns? Kann ich dir ein anständiges Frühstück anbieten?«
» Sehr gerne«, erwiderte er und ergriff ihre Hand, um sie kräftig zu schütteln. Er liebte es, seine Weltläufigkeit zur Schau zu stellen, indem er mit Inbrunst europäische Sitten zelebrierte. » Wenn es Mrs. Perkins recht ist?« Er verdrehte die Augen in Richtung Küche. Für ihn kam die Köchin in der Hierarchie auf Eden House unmittelbar hinter Ian und weit vor Dorothea. War sie doch die unangefochtene Herrin über die in der Speisekammer gut verschlossenen Köstlichkeiten!
» Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob in seinen Augen Mrs. Perkins die Hauptfrau ist und wir bloß die Nebenfrauen«, hatte Dorothea einmal ironisch bemerkt. » Ich glaube, sie ist die einzige Frau auf der Welt, vor der er Respekt hat!«
» Nun, Liebes, das darf dich nicht verwundern«, hatte Lady Arabella völlig ernsthaft erwidert. » Du musst dir nur vergegenwärtigen, dass in seinen Augen Mrs. Perkins so etwas wie eine Zauberin ist. Niemand von uns wagt, ihr zu widersprechen. Nicht einmal Ian!« Sie zwinkerte belustigt. » Hingegen sieht er in dir wohl so etwas wie eine Lieblingsfrau und in mir ein nutzloses altes Weib, das sie schon längst im mallee ausgesetzt hätten.«
Diese Vermutung war sicher nicht ganz aus der Luft gegriffen, dachte Dorothea amüsiert, während sie King George in die Küche führte.
» Na, wen haben wir denn da?« Mrs. Perkins musterte
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