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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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nichts dazu, sah ihm lediglich schweigend nach. Nur sein Gesicht war röter als sonst und seine Augen wiesen einen fast fiebrigen Glanz auf.
    Lina war ganz starr vor Entsetzen. »Die Maori haben seinen Onkel umgebracht?«, fragte sie, ohne zu überlegen, ob ihr eine solch persönliche Frage überhaupt zustand.
    Treban nickte. Für einen Moment wurden seine Lippen ganz schmal. »Meinen Bruder. Beim Wairau-Massaker vor einem Jahr. Hast du denn wirklich noch nichts davon gehört?«
    Lina schüttelte den Kopf. Sie kam nur selten in Kontakt mit anderen Siedlern und erfuhr daher wenig von dem, was um sie herum vorging. In ein paar Sätzen erzählte Treban ihr von dem schrecklichen Geschehen.
    Im vergangenen Jahr hatten einige Siedler neues, fruchtbares Land in der Wairau-Ebene im südöstlichen Landesinneren erschließen wollen. Bei Landvermessungen gerieten sie mit den ansässigen Maori in Streit über die Frage, ob das Land nun an die Siedler verkauft worden sei oder nicht. Es kam zu einem Kampf, bei dem zweiundzwanzig Siedler getötet wurden. Mr Trebans Bruder Heinrich war einer von ihnen gewesen.
    Das war ja furchtbar! Lina schluckte. Dann hatte die Familie also kurz hintereinander zwei Todesfälle zu beklagen. Mit einem Mal tat ihr Mr Treban sehr leid.
    »Er war mein älterer Bruder«, murmelte Treban, sein Blick verlor sich in der Ferne. »Er ist schon in jungen Jahren nach England gezogen und hat sich dort zum Landvermesser ausbilden lassen. Alexander ist bei ihm in die Lehre gegangen.«
    »Alexander war in England?«, fragte Lina. Das würde allerdings einiges erklären.
    Treban nickte. »Er hat das gleiche unruhige Blut wie mein Bruder. Es war Heinrichs Idee, nach Neuseeland auszuwandern, zusammen mit Alexander. Unsere Plantage hatte ursprünglich meinem Bruder gehört. Er schrieb, dass er hier Land von den Wilden gekauft und darauf Setzlinge aus Deutschland gepflanzt habe. Dass er sogar Apfelbäume von der Nordinsel mitgebracht habe, die frühere Siedler dort gepflanzt hätten. Heinrich war der Meinung, die Witterung sei hier auf der Südinsel besser – und er hatte recht. Seine Briefe klangen so … so hoffnungsvoll. Seinetwegen sind auch wir hierhergekommen.« Treban ballte die Fäuste. »Und dann haben diese Wilden ihn abgeschlachtet wie ein Stück Vieh!«
    Linas Herz krampfte sich vor Angst zusammen. Das waren in der Tat Wilde! Barbaren! Nie wieder würde sie sich in Gegenwart eines Maori sicher fühlen!
    »Das Fort auf dem Hügel ist gegen die Maori!«, rief Julius aus. »Wenn ich groß bin, kriege ich ein Gewehr und schieße sie alle tot!«
    Eben noch hatte er mit ihnen handeln wollen. Der Widerspruch zu seinem vorigen Wunsch schien ihm nicht aufzufallen.
    Lina sah Alexander später an diesem Abend wieder, als sie den Abfall hinaustrug. Er hackte Holz, mit einer so erbitterten Entschlossenheit, wie sie sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Wild fuhr die Axt ins Holz, splitternd brachen Scheite ab. Die lauten Geräusche durchbrachen die friedliche Abendstimmung wie ein Fremdkörper.
    Lina leerte den Abfallkübel auf den Misthaufen und blieb dann noch ein paar Sekunden stehen. »Es tut mir sehr leid, was mit deinem Onkel passiert ist«, sagte sie schließlich. »Ich kann mir vorstellen, wie sehr du diese Wilden hassen musst.«
    Er schlug die Axt ins Holz und drehte sich zu ihr um. »Ich hasse sie nicht!«, stieß er hervor. »Und nenn sie nie wieder Wilde!«
    Ende September, als der Frühling mit seinem milden, fast schon sommerlichen Klima das Land erblühen ließ und aus allen Bäumen Vogelgezwitscher drang, war Lina sechzehn geworden. Nach den ersten arbeitsreichen Tagen konnte sie kaum glauben, wie schnell die Wochen plötzlich dahinzufliegen schienen. Und in dem milden neuseeländischen Klima wuchs alles viel schneller als in Deutschland. In dem Teil des Gemüsebeets hinter dem Haus, um das sie und Rieke sich gemeinsam kümmerten, gediehen Erbsen, Zwiebeln und Kohl, und bald darauf sprossen auch schon Karotten und Spinat.
    Vor allem Julius amüsierte sich über den plattdeutsch gefärbten Dialekt der Schwestern. »Ihr sprecht so komisch«, sagte er immer wieder.
    Aber auch für die beiden Mädchen hörte sich sein Tonfall seltsam an. Die Trebans kamen ursprünglich aus der Gegend von Koblenz im Rheinland, wo Mr Trebans Familie als Obstbauern lebte. Beim Essen mussten sie sich ebenfalls umgewöhnen. Besonders häufig gab es »Himmel un Ääd«, wie Treban es nannte, eine für die Mädchen höchst

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