Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
er.
»Was weiß denn ich?«, fuhr Lina ihn an. Aber schon im nächsten Moment bereute sie ihren harschen Ton. Wieso war sie bloß so gereizt?
»Er ist bestimmt gleich fertig«, setzte sie daher sanfter nach. »Hoffe ich jedenfalls.«
Die Kinder sahen sich an und wie auf Kommando begannen beide zu kichern.
»Ich wüsste nicht, was daran so lustig ist«, sagte Lina verwirrt.
Julius hörte auf zu kichern, sein Mund mit der frischen Zahnlücke verzog sich zu einem frechen Grinsen. »Ich glaube, Alex mag dich auch.«
Eine Woge von Hitze schwappte über Lina, sicher wurde sie gerade rot wie ein Radieschen. »Ach ja?«, murmelte sie schwach.
Die Kinder hatten bald genug vom Stillsitzen, turnten um den Esel herum und versteckten sich hinter dem Karren. Die Straße belebte sich allmählich. Hier und da kam ein Fuhrwerk vorbei, öffnete ein Laden, eilte jemand vorüber. Ein Mann mit einer sichtbar geschwollenen rechten Wange näherte sich dem Haus, in dem Dr. Stewart seine Praxis hatte. Kurz bevor er das Haus erreicht hatte, blieb er stehen, schien ein paar Sekunden mit sich zu ringen, dann drehte er sich um und ging hastig wieder fort.
Lina hatte keine Uhr. Wahrscheinlich saß sie noch keine halbe Stunde hier, aber ihr kam jede Minute davon endlos vor.
Nach einer Weile erschien der Mann mit der dicken Wange erneut. Diesmal schien er mehr Mut gefasst zu haben, denn mit energischen Schritten betrat er das Haus und blieb verschwunden. Und kurz darauf kam endlich Alexander aus der Tür. Die Erleichterung ließ ihr Herz schneller klopfen.
Sie sprang auf, wollte zu ihm laufen – und konnte sich nur im letzten Moment bremsen. Was sollte er nur von ihr denken? Sie war schließlich bloß das Dienstmädchen und er der Sohn ihres Arbeitgebers. Langsam sank sie zurück auf die Bank.
So stürmte nur Julius auf ihn zu. »War’s schlimm?«
Alexander brummte irgendetwas Unverständliches. Er sah ein bisschen mitgenommen aus; seine Haare waren an den Schläfen feucht und seine Lippen ein wenig farblos. Er nickte Lina zu, dann ging er zum Karren, wo ihn der Esel lauthals begrüßte, streichelte das Tier und setzte sich dann auf den Kutschbock.
Lina blieb, wo sie war. Ihr war klar, dass er jetzt allein sein wollte.
»Jetzt müssen wir nur noch auf Vater warten«, verkündete Julius das Offensichtliche.
Tatsächlich dauerte es nicht lange, und ein durch das Fenster gedämpfter, kurzer Schrei war zu hören. Einmal und bald darauf noch einmal, diesmal etwas länger. Lina sah betreten zum Karren hinüber. Alexander hob den Kopf, ihre Blicke trafen sich.
»Siehst du, Vater schreit auch!«, wandte sich Julius an Rieke.
»Aber Alex hat nicht geschrien!«, konterte Rieke. Lina biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zurückzuhalten.
»Er hat ja auch keinen Zahn gezogen bekommen«, erwiderte Julius. »Oder, Alex? Hast du?«
Alexander blickte kurz zu ihm hinüber und schüttelte den Kopf, dann verfiel er wieder in sein dumpfes Brüten.
Wenig später erschien dann auch Mr Treban bei ihnen – um zwei Zähne leichter und mit ebenso erleichtertem Geldbeutel, wie er etwas nuschelnd erklärte.
Dann ging es endlich an die Heimreise.
Kapitel 10
Lina gähnte verstohlen, dann beugte sie sich im Schein der einsamen Kerzenflamme wieder über ihre Näharbeit. Sie wäre gern ins Bett gegangen, aber noch war das nicht möglich. Mr Treban hatte Pastor Heine nämlich wieder einmal zu einem Glas Apfelwein überredet, und nun saßen die Männer seit gefühlten Stunden in der Stube, tranken und redeten. Bei einem Glas war es natürlich nicht geblieben – zumindest bei Treban nicht.
Wenn wenigstens Alexander dabei gewesen wäre. Aber der hatte sich schon früh entschuldigt und sich zurückgezogen.
Seit einiger Zeit kehrten ihre Gedanken immer öfter zu ihm zurück. Immer wieder musste sie daran denken, was Julius vor ein paar Tagen, nach ihrem Besuch bei Dr. Stewart, so leichthin behauptet hatte. Ob das wohl stimmte? Mochte Alexander sie wirklich?
Ein kleines, zartes Flämmchen hatte sich in ihrem Inneren entzündet. Wenn Alexander da war, ging ihr die Arbeit leichter, fast spielend von der Hand, und die Müdigkeit, die ihr auch heute Abend zu schaffen machte, war dann wie weggeblasen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich meist ganz leicht. Und gleichzeitig angespannt. Dann machte sie dumme Fehler, stach sich an der Nadel oder verbrannte sich am Herd und kam sich albern vor, wenn sie doch etwas Kluges sagen wollte.
Die Sonne war schon lange
Weitere Kostenlose Bücher