Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
ihren Gedanken drehte sich alles.
»Ja«, murmelte sie, ohne selbst zu wissen, was sie da sagte.
»Wer? Wer ist der Glückliche?«
»Kommen Sie, Mr Treban«, sagte sie ausweichend. »Ich bringe Sie ins Bett.«
Als Treban endlich laut schnarchend in seinem Bett lag und der Pastor sich verabschiedet hatte, trat Lina noch einmal vor die Tür. Die Nacht war warm, ein paar Sterne funkelten vom samtschwarzen Himmel. Ein Schatten bewegte sich in der Dunkelheit und blieb dann vor dem Schuppen stehen. Alexander. Sah er zu ihr herüber?
Mit einem Mal klopfte ihr Herz schneller und das kleine Flämmchen in ihrem Inneren brannte für einen Moment lichterloh. Hastig trat sie zurück ins Haus.
Es war kurz vor Weihnachten und seit einigen Tagen war es so heiß, dass Lina manchmal ihren langen Rock verwünschte. Inzwischen ließ sie immerhin die Strümpfe weg – wenn sie darauf achtete, würde schon niemand sehen, dass sie nackte Beine hatte.
Weihnachten im Sommer. Ihr wurde weh ums Herz, wenn sie daran dachte. Das erste Fest ohne den Vater. Und ohne Schnee und klirrende Kälte. Ohne Weihnachtsbaum. Aber zumindest Letzteres konnte man ändern. Es gab hier zwar keine Tannen, aber stattdessen verwendete man den rot blühenden Eisenholzbaum. Alexander hatte ihr davon erzählt. Und dass einer dieser Bäume nicht weit entfernt stehe, an einem kleinen See mitten im Wald. Sie müsse nur dem Pfad folgen, der hinter dem Haus abzweige.
Geschenke würde es nicht geben. Das Geld war knapp, die Arbeit wurde nur selten in harter Münze ausgezahlt. Meist beließ man es beim Tauschhandel. Auch Lina und Rieke bekamen einen Teil ihres Lohns in Naturalien – in Zucker, Reis oder Kaffee. Aber vielleicht reichte die Zeit, um zusammen mit den Kindern ein paar Strohsterne herzustellen.
Der kleine Trampelpfad hinter dem Haus verlor sich schnell im dichten Wald. Alle Sträucher und Pflanzen standen in voller Blüte, in Gelb, Weiß, Rot und Lila. Überall summte und brummte es vor Leben, der Sonnenschein ließ die dunkelgrünen Blätter der Bäume glänzen, und der Wald hallte wider von Gezwitscher. Zwischen den Ästen hüpften zwei kleine graue Vögel mit weißer Brust umher und beäugten Lina neugierig. Dazwischen erklang der Ruf des Tui, den sie mittlerweile kannte, dann setzte ein zweiter ein, dann ein dritter. Oder war es immer nur derselbe, der ihr da einen Streich spielte?
Je weiter sie ging, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Sie war noch nie so weit gegangen. Immer nur in die andere Richtung, in bewohntes Gebiet, hinunter nach Nelson, wo es Häuser und Straßen und Menschen gab. Hier dagegen war nur urwüchsige Natur. Grünes Licht. Grüne Schatten. Über ihrem Kopf hörte sie das Rauschen der Bäume. Dichtes Moos bedeckte den Pfad, ihre Schritte auf dem Waldboden waren kaum zu hören. Der Wald hatte hier so gut wie kein Unterholz. So weit sie blicken konnte, standen Scheinbuchen, deren dicke, dunkle Stämme zum Teil von Moosen und Flechten bedeckt waren. Nur ein paar Riesenfarne reckten ihre grünen Wedel in die Höhe. Es war geradezu unheimlich.
Dennoch lief sie weiter, schließlich wollte sie ihrer neuen Familie eine Freude machen. Denn auch wenn Treban es nicht sagte, so hatte sie doch den Eindruck, dass es ihm gefiel, wenn sie die Stube mit ein paar Blumen schmückte und auf Ordnung und Sauberkeit achtete.
Zu ihrer großen Erleichterung hatte er sie nicht mehr auf seinen seltsamen Heiratsantrag angesprochen und Lina hatte genauso geschwiegen. Vermutlich konnte er sich überhaupt nicht daran erinnern.
Um sich von dem beklemmend dunklen Wald abzulenken, überlegte sie, was sie wohl zum Weihnachtsfest kochen würde. Sie könnte die Schweinekeule zubereiten, die gepökelt in ihrer Speisekammer hing, dazu neue Kartoffeln und Steckrüben und danach vielleicht einen Pudding mit Obst.
Der Pfad führte immer weiter in den Wald, bis Lina auf einen winzigen See stieß. Eigentlich war es kaum mehr als ein Tümpel. Am Ufer wuchsen Flachs und die weißen Schilfbüsche des Toetoegrases an die drei Meter hoch. Als sie den Blick hob, lächelte sie: Auf der anderen Seite des Tümpels stand der Baum, den sie gesucht hatte, voll von großen, leuchtend roten Blüten. Er sah aus, als habe man ihn bereits mit farbigen Kugeln geschmückt. Das musste der Eisenholzbaum sein, von dem Alexander gesprochen hatte.
Sie trat näher ans Ufer. Es war so schrecklich heiß! Und das Wasser glitzerte verlockend. Zwar hatte sie nie schwimmen gelernt, aber sie
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