Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
einfach nicht genug zusammen. So schwer die beiden Männer auch schufteten – Geld war in der Kolonie Mangelware und die meisten Dienstherren konnten die Löhne nur in Naturalien zahlen. Am Ende der Woche brachte Alexander von seinem Knochenjob beim Straßenbau daher oft nur Lebensmittel wie Hafermehl oder Reis mit nach Hause und nur selten ein paar Münzen. Wenigstens mussten sie nicht hungern.
Immerhin gab es auch ein paar gute Neuigkeiten. Mit ihrem gesparten Geld, das Lina ihm schon jetzt gegeben hatte, war Rudolf Treban noch einmal zu Seip gegangen und hatte eine kleine Zahlung geleistet. Und tatsächlich hatte Seip sich nochmals auf einen kurzen Aufschub eingelassen, um den Trebans die Möglichkeit zu geben, ihre Schulden zu tilgen. Zumindest ein kleiner Anlass zur Hoffnung.
Außerdem wurden sämtliche Passagiere der Skjold, die in Nelson geblieben waren, zu britischen Staatsbürgern erklärt. »Naturalisiert« nannten sie das hier. Damit waren Lina und Rieke genau wie die Trebans nun offiziell Engländer und unterstanden ab sofort der britischen Krone. Lina wurde es ein bisschen wehmütig ums Herz, als ihr klar wurde, dass sie zumindest auf dem Papier nun keine Deutsche mehr war.
Einen geeigneten Hochzeitstermin zu finden, erwies sich dagegen als unerwartet problematisch. Im Februar jährte sich der Todestag von Rudolf Trebans erster Frau, und dann zu heiraten, wäre reichlich unpassend. Zum anderen begann bald die Apfelernte, und dafür wurden bis auf die kleine Sophie alle Familienmitglieder gebraucht. Man beschloss, die Ernte gleich nach der Hochzeit zu beginnen.
Und noch ein weiteres Hindernis tat sich auf: Mit sechzehn Jahren durfte Lina eigentlich nur mit Zustimmung ihrer Eltern heiraten. Da ihre Eltern aber nicht mehr lebten und sie auch keinen Vormund hatte, musste diese Angelegenheit erst geregelt werden. Pro forma wurde Fedor – ehemals Johann – Kelling zu ihrem Vormund ernannt, der dieses Amt auch gleich für Rieke übernahm.
Am 25. März 1845, dem Tag ihrer Hochzeit, war Lina zum Weinen zumute. Früher hatte sie sich immer in den leuchtendsten Farben ausgemalt, wie es wohl sein würde, wenn sie einmal heiratete. Darin war sie eine wunderschöne, glückliche Braut gewesen, und es hatte ein rauschendes Fest gegeben, mit vielen Gästen, die sich mit ihr freuten. Aber nie hätte sie erwartet, dass sie sich jetzt, da es wirklich so weit war, dermaßen schlecht fühlen würde. Sie trug ihr gutes Sonntagskleid aus schwarzem Stoff. Auf ihrem Haar, das trotz des häufigen Bürstens glanzlos und strohig wirkte, hatte sie einen langen weißen Schleier festgesteckt, den ihr Mr Kellings Frau geliehen hatte. Das Kleid saß ziemlich locker, denn sie hatte in den vergangenen Wochen noch weniger als sonst heruntergebracht. Pastor Heine hatte recht: Eine glückliche Braut sah anders aus.
Eine kleine Hochzeitsgesellschaft, bestehend aus Reisegefährten und Nachbarn der Familie, begleitete sie zu ihrer Trauung hinter die befestigte Palisade des Forts. In Nelson gab es noch kein richtiges lutherisches Gotteshaus, doch man hatte eines der Holzhäuser zur Kirche erklärt. Ein paar Frauen hatten das Innere mit Blumen und bunten Bändern geschmückt. Rudolfs Kinder waren ebenfalls festtäglich gewandet, auch wenn Alexander so grimmig blickte, als ginge er zu einer Beerdigung und nicht zu einer Hochzeit. Fedor Kelling sah mit seinem dunklen Rock und dem hohen Zylinder würdevoller aus als der Bräutigam, als er Lina zum Altar führte. Pastor Heine hielt seine Hochzeitspredigt über die Hochzeit zu Kanaan, dann waltete er seines Amtes und traute die beiden Brautleute.
Das anschließende Hochzeitsessen fand vor dem Haus der Trebans statt, wo man Tische und Bänke zu einer langen Tafel zusammengetragen hatte. Mit ein paar weißen Tischdecken und bunten Blumen sah es richtig feierlich aus. Einige der ehemaligen Skjold -Passagiere sowie ein paar von Trebans Reisegefährten von der St. Pauli drängten sich an den Tischen. Ein kurzes Lächeln huschte über Linas Gesicht, als sie unter den Gästen auch Cordt Bensemann und seine Tochter Anna entdeckte. Bensemann lebte mit seiner Familie im einen halben Tagesmarsch entfernten Ranzau, arbeitete in der Woche aber in Nelson. Stets begleitete ihn dabei seine Tochter Anna, die ihm den Haushalt führte. Obwohl sie nicht älter als Rieke war, wirkte sie weitaus erwachsener als Linas Schwester. Jetzt saß Anna mit rosigen Wangen neben ihrem Vater, vor sich Linas Brautstrauß, den
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