Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
auch um den Esel kümmern würden? Und um die Hühner?«
Alexander nickte. »Ich denke schon. Hier hilft man sich gegenseitig.« Er strich seiner schlafenden kleinen Schwester über den Kopf. »Sei ein braves Mädchen, Sophie. Wir sind bald wieder zurück.«
»Wir sollten vielleicht einen Zettel hinlegen, falls Rieke und Julius zurückkehren und uns nicht vorfinden. Und jemandem Bescheid geben«, überlegte Lina. »Außer den Tucketts am besten noch Pastor Heine.«
»Gut. Den Pastor kann ich übernehmen. Bis morgen früh dann.« Und schon war er in der Nacht verschwunden.
»Ja, bis morgen«, murmelte Lina.
Es war spät in der Nacht, als Lina nach all den Vorbereitungen endlich unter ihre Decke kriechen konnte. Dennoch fand sie lange keinen Schlaf. So einsam war es noch nie im Haus gewesen. Rudolf Treban war tot, Sophie bei den Nachbarn, Alexander unterwegs.
Und Rieke und Julius? Wo waren sie bloß? Hatte Rieke Angst, da draußen in der Dunkelheit? Hatten die Kinder einen sicheren Platz zum Schlafen gefunden? Oder irrten sie hilflos durch die Nacht? Ruhelos wälzte Lina sich auf die andere Seite. Die Kinder waren ihr anvertraut gewesen, und jetzt waren sie fort! Hätte sie nicht früher etwas merken müssen?
Rieke konnte genauso wenig schwimmen wie sie selbst. Waren die beiden womöglich gekentert, das Boot umgeschlagen, die Kinder ertrunken? Jäh flackerte die Angst in Lina auf, als sie sich den leblosen Leib ihrer kleinen Schwester vorstellte, wie er im Wasser trieb.
Mühsam drängte sie diese Bilder zurück, versuchte, sich auf etwas weniger Angsteinflößendes zu konzentrieren. Sicher sah morgen alles schon wieder ganz anders aus. Vielleicht tauchten die beiden morgen früh schon wieder auf. Dann würde es ein gewaltiges Donnerwetter geben und alles wäre wieder in Ordnung.
Und wenn nicht? Dann würde Lina morgen früh mit Alexander aufbrechen, um nach den beiden zu suchen. Auch wenn sie ein vages Unbehagen über ihren Plan verspürte, in der Wildnis unterwegs sein zu müssen: Dass Alexander dabei war, sandte einen prickelnden Schauer der Vorfreude durch ihren Körper. Sie und er, alleine in einem Boot … Bis ihr einfiel, dass sie in all der Aufregung um Riekes und Julius’ Verschwinden etwas völlig übersehen hatte: Was war es, wonach die Kinder suchten? Und worüber Alexander nicht reden wollte?
Sie musste sich wohl oder übel gedulden. Irgendwann würde sie schon erfahren, was er ihr verheimlichte.
Als sie endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, träumte sie von Booten und krächzenden Vögeln. Und von Alexander.
Bum, bum, bum.
Lina schreckte von dem dumpfen Geräusch aus dem Schlaf. Für einen Moment konnte sie es nicht zuordnen, dann klärte sich ihr schlaftrunkener Geist: Alexander pochte von außen an die Tür ihrer Kammer.
»Ja?« Sie richtete sich hastig auf.
»Es wird bald hell«, rief er ihr durch die geschlossene Tür zu. »Wenn du mitkommen willst, dann beeil dich!«
Hastig erhob sie sich und strich sich über ihre verknitterte Kleidung. Sie drehte sich die Haare zu einem einfachen Knoten und spritzte sich etwas Wasser aus der Waschschüssel ins Gesicht. Das musste reichen. Sie öffnete die Tür.
Alexander wartete in der Stube auf sie. Es war noch ziemlich dunkel, aber sie glaubte zu sehen, wie ein anerkennender Ausdruck über sein Gesicht ging.
»So schnell? Ich dachte, bei euch Frauen würde das länger dauern.«
»Ich habe in den Kleidern geschlafen«, erklärte sie verlegen. Sie hatte schließlich nicht riskieren wollen, dass er doch noch ohne sie aufbrach.
Rieke und Julius hatten offenbar tatsächlich das waka der Trebans genommen, erzählte Alexander ihr, während Lina im Stehen eine trockene Scheibe Brot aß. Zumindest war es nicht mehr da. Zum Glück hatte er schnell einen Ersatz gefunden: Er durfte sich das Boot vonCordt Bensemannausleihen, der unter der Woche in Nelson wohnte.
»Was ist das?« Alexander deutete auf Linas prall gefüllte Reisetasche und die anderen Beutel, die in der Ecke der Stube standen.
Hastig schluckte sie den letzten Rest Brot hinunter. »Unser Gepäck«, erklärte sie. »Du hast doch gesagt, ich soll zusammenpacken, was wir brauchen.«
Er sah sie mit ausdruckslosem Gesicht an. »Wo sind die Töpfe?«
»Die Töpfe?«
»Und die Bratpfannen? Und – sag bloß, du hast die Gläser vergessen? Und mein Gott, etwa auch die Tischdecke? Und die Federbetten?«
Lina sah ihn betreten an. »Ich … dachte doch nur, wir würden das brauchen.«
Er
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