Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rueckkehr

Die Rueckkehr

Titel: Die Rueckkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
Vom Netzwerk:
antiken Spiegel mit dem Goldrahmen, der an der Wand hing. Das schwarze Tuch war verschwunden und das Glas zeigte das Zimmer, die blasse weiße Frau in ihrem Bett und die junge schwarze Frau auf dem Stuhl. Die Kerze war fast heruntergebrannt und flackerte.
    »Werden Sie aufstehen und in den Spiegel sehen?«
    »Das kann ich nicht.«
    »Ich glaube doch, Missus. Sie müssen es versuchen.«
    Anora gab sich Mühe, kam aber nicht hoch. Anora nahm sie in ihre kräftigen jungen Arme, trug sie hinüber und stellte sie vorsichtig auf die nackten Füße, und beide fanden sich im Rahmen des Spiegels wieder, zwei Schattenrisse mit einer Korona aus Kerzenlicht. Anora zitterte. Talitha trat vor, hielt sie in beiden Armen und küsste sie zart auf die Wange.
    »Keine Angst, Missus. Sie haben Familie hinter dem Glas. Daddy sagt, es seien die Ihren gewesen, die diesen Spiegel geöffnet haben, vor langer Zeit, in Frankreich, in Paris. Er sagt, viele aus Ihrer Familie seien umgebracht worden während der sogenannten Schreckensherrschaft. Viele davon hat man unter eine Maschine gelegt. Wenn es getan war, hat der Henker ihren Kopf aus dem Korb geholt und vor diesen Spiegel gehalten, genau diesen, den man aus dem Haus geholt hatte, in dem sie alle einmal gewohnt hatten, damit sich sich selbst ein letztes Mal sehen konnten. Damit wollte man sie quälen, denn es war noch Leben in ihnen und sie konnten sehen, was ihnen angetan wurde, aber der Spiegel war das Letzte, was sie sahen, und sie übergaben ihm ihre Seelen, und so wurde der Spiegel geöffnet. Das ist die Geschichte, die mein Vater mir erzählt hat.«
    Anora starrte in den Spiegel und sah nur Talitha und sich selbst in ihrer Umarmung, und hinter ihnen das Krankenzimmer als Bild im Dämmerlicht. Und dann noch etwas. In der hintersten Ecke des Zimmers glaubte sie eine Gestalt ausmachen zu können, die im Schatten stand, eine hübsche junge Frau in einem hellen Nachtgewand.
    Die Frau kam ihr bekannt vor. Vielleicht war sie das Gespenst einer Frau, die sie gekannt hatte oder eines Tages kennen würde. Vielleicht halluzinierte sie auch einfach. Ihr Kopf füllte sich mit grünem Licht. Wenn Talitha sie nicht festgehalten hätte, sie wäre gestürzt. Talithas Leib war so kühl, wie ihrer warm war.
    Talitha küsste sie auf die Schläfe.
    »Adieu, Missus. Was ich getan habe, tut mir leid.«
    Anora wollte sie berühren, aber zwischen ihr und Talitha war geriffeltes Glas. Sie legte die Hand an den Spiegel und Talitha hob auf der anderen Seite die ihre, bis ihre Handflächen aufeinanderlagen. Talitha spreizte die Finger und bedeckte Anoras Hand mit ihrer eigenen. Noch durch den Spiegel konnte Anora das Frostige in Talithas Hand spüren.
    »Begleitest du mich?«, fragte Anora.
    Talitha schüttelte den Kopf.
    »Nein, Missus. Ich wünschte, ich könnte es. Ich kann es nicht.«
    »Doch, du kannst. Ich vergebe dir. Es ist noch nicht zu spät für dich. Du kannst in Plaquemine zum Pastor gehen und beichten. Zu einem Richter. Du kannst … sühnen.«
    »Missus, ich glaube, das habe ich schon. Mister London hat mich umgebracht für das, was ich Ihnen angetan habe.«
    »Umgebracht?«
    »Oh ja. Mister London hat mich unten im Labyrinth mit einem Strick umgebracht und jetzt hänge ich an der Jupiterweide mit einem Zettel an meinem Kleid, den ich nie geschrieben habe. Mister London, der hat vergessen, dass ich nie Schreiben gelernt habe, aber Second Samuel weiß Bescheid.«
    Sie unterbrach sich kurz, als hätte sie etwas gehört.
    »Jetzt rufen sie mich, Missus. Meine Zeit ist abgelaufen. Ich muss in ungeweihte Erde, weil ich eine Hure bin und eine Mörderin. Ich bin nur gekommen, um Sie zum Spiegel zu bringen. Second Samuel soll mich nicht vergessen, helfen Sie mir dabei, wenn Sie können. Er ist mir ein sehr guter Vater gewesen und es tut mir leid, dass ich ihm eine so schlechte Tochter war. Wenn Sie ihm eines Tages begegnen, auf Ihrer Seite, dann sagen Sie es ihm, bitte, tun Sie es für mich.«
    Talitha nahm die Hand weg und trat vom Spiegel zurück. Sie sah etwas zu ihren Füßen. Auf dem Boden lag Anoras Leib, ein kleines totes Ding. Im Spiegel war nur ihr Widerschein, ihr eigener. Talitha hob Anoras Leib auf, trug ihn zurück zur Bettcouch und legte ihn sanft ab. Sie deckte ihn zu und ließ das Gesicht unbedeckt. Sie gab Anora eine friedliche Anmutung und flocht ihr den Rosenkranz aus Peridot in die Finger.
    Dann nahm sie die Kerze, blickte sich ein letztes Mal im Zimmer um und entdeckte Kate, die sie

Weitere Kostenlose Bücher