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Die Rückkehr der Königin - Roman

Die Rückkehr der Königin - Roman

Titel: Die Rückkehr der Königin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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übrig, das wir nicht bereits erreicht haben?«
    Anghara blickte in die Flammen, und ihre Stimme klang langsam und wie aus der Ferne, wie das Echo einer weit entfernten großen Glocke. Ihre Antwort fasste die Ewigkeit in ein einziges Wort.
    »Warten«, sagte sie schlicht.

16
    Die Tage blieben mild, aber in der Nachtluft spürte man den Biss des Frostes, und die Morgennebel, die über die Berge herabquollen, brachten schon das Versprechen der Winterkälte. Das Laub im Innenhof hinter dem Königlichen Turm färbte sich bunt, einige Äste waren schon kahl. In der Festung zündete man Feuer an. Das alte Gemäuer speicherte die Kälte und atmete sie wieder aus – nirgendwo war es kälter für jemanden, der wie Anghara dafür ein Gespür hatte, als in den königlichen Gemächern im Turm. In diesem Raum war Anghara gezeugt worden, wo Rima gestorben war, wo die tragische Senena Sifs ungeborenen Erben unter dem Herzen getragen hatte. Anghara saß am Feuer und zitterte, obwohl sie in einen Umhang aus Wolfspelzen gehüllt war. Zu viele Geister teilten das Gemach mit ihr.
    Die Geister der Toten – und der Lebenden. Vor Tagen hatte das Feuer ihr eine Vision von Sif geschenkt, wie er von seinem Schiff mit dem Schwan am Bug in Calabra mit wild entschlossener Miene an Land gegangen war. Die Flammen zeigten ihr, dass er sich jetzt auf dem Weg nach Miranei befand. Die Nachricht, dass sie Miranei in Besitz genommen hatte, dürfte ihn am Anleger erreicht haben; allerdings musste es ein tapferer Mann gewesen sein, der es gewagt hatte, sie ihm zu überbringen. Sif hatte keine Zeit verloren, seine Männer gesammelt – er verfügte noch immer über genügend, um den Kern einer beachtlichen Armee zu formen – und sie nach Norden geführt. Und die Männer, die er führte, würden ihn als rechtmäßigen König sehen, der sein Reich wiederherstellen wollte. Nach anfänglicher Vorsicht hatte sich das gesamte Land für die junge Königin entschieden, die es als tot beweint hatte, aber Sif sah sich immer noch als den wahren König unter dem Berge. Und deshalb konnten seine Männer es nicht anders sehen. Ein menschlicher König über ein menschliches Volk, der sich bemüht hatte, die Seelen seines Volkes vom Gift des Zweiten Gesichts zu befreien – und der, falls er seinen Thron nicht wiedererlangen und seinen Anspruch nicht betätigen konnte, all seine Pläne als gescheitert sehen musste. Nicht nur war die »Hexen-Königin«, die er sicher unter der Erde glaubte, nach Miranei zurückgekehrt; sie war auch Teil eines neuen Glaubens geworden – und ein neuer Gott, den zu erschaffen sie teilweise mitgeholfen hatte, begrüßte ihn in Roisinan bei seiner Rückkehr.
    Sif war immer eine gewaltige Ablenkung. Anghara war so vertieft, dass Kieran zweimal klopfen musste, ehe sie ihn hereinbat. Mit einem neckischen Lächeln schaute sie zu ihm auf. Sie hielten die Festung zu allen Zeiten verteidigungsbereit. Kieran trennte sich nie von seinem Schwert, nicht einmal, wenn er die Gemächer der Königin betrat. Der Anblick des weißen Schwertgurts aus ki’thar-Leder um seine Hüften hatte Anghara lächeln lassen – für einen Mann aus Shaymir war dieser Schwertgurt absolute Ironie. »Khelsie!« Jeder Shaymiri, der etwas auf sich hielt, würde bei diesem Anblick ausspucken. Aber Kieran war – wie Anghara – von der mächtigen Kraft in Kheldrin berührt und verwandelt worden. Seit Monaten hatte er das Wort »Khelsie« nicht mehr ausgesprochen. Er dachte nicht mehr mit dieser Bezeichnung an die Leute dort.
    »Hast du etwas gegessen?«, fragte Kieran und schlüpfte sofort wieder in seine alte Beschützerart, als er sie so allein und zusammengerollt im Sessel vor dem Kamin sitzen sah. »Hier sitzen und aus dem Feuer das Zweite Gesicht holen, lässt Sif auch nicht schneller kommen. Und wenn du so weitermachst, bist du ein Gespenst, wenn er eintrifft. Eine feine Königin wärst du bei seiner Begrüßung.«
    »Ich begrüße ihn, und er wird wissen, wer ich bin«, entgegnete Anghara ein bisschen boshaft lächelnd. Es gab Zeiten, in denen sie ihre Seele durchforscht hatte und in denen sie gar nicht sicher war, ob sie die Königin sein konnte, die Roisinan brauchte – aber diese Zweifel lagen hinter ihr. »Und er wird früher hier sein, als wir denken.«
    »Nun, alle Seitentore sind von loyalen Männern bewacht«, erklärte Kieran ruhig. »So leicht wird er Miranei kein zweites Mal einnehmen.« Er zögerte – zwischen ihnen war in diesen Tagen eine Grenze, um die

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