Die Rückkehr der Königin - Roman
breiten Gang – ursprünglich ein Tunnel. Fackeln flackerten auf beiden Seiten. Dann kamen sie plötzlich in einen Kreuzgang, mit einem grasbewachsenen Innenhof und einem Springbrunnen in der Mitte.
»Halte dich links.« Angharas Stimme ertönte hinter Kieran, nur so laut, dass er sie gerade noch verstehen konnte. »Direkt vor dir kommt noch ein Torbogen.«
So war es. Kieran trat hinein. Ein plötzliches Geräusch ließ ihn die Hand heben und den anderen beiden Schweigen gebieten. Aber die Schritte verhallten in der Ferne, und Kieran schlich vorsichtig weiter.
»Am Ende dieses Ganges musst du nach rechts gehen«, lautete die Anweisung, als eine kahle Wand vor ihnen den Gang zu verschließen schien. Es war eine T-Kreuzung. Nach rechts und links verlief ein enger Gang. Kieran spähte in beide Richtungen, dann betrat er den Gang nach rechts.
»Am Ende dieses Ganges ist eine Tür«, flüsterte Anghara. »Der Riegel ist innen, aber es könnte draußen eine Wache stehen. Wir kommen am Fuß des Westturmes heraus, das Seitentor befindet sich im Sockel des Turms.«
»Moment mal«, sagte Kieran leise. »Der Westturm? Das ist nicht das Seitentor, das ich kenne. Das führt in die Stadt. Dieses hier aber ...«
»Das hier führt in die Vorberge«, sagte Charo mit einem Hauch Begeisterung in der Stimme. »Gut gemacht, Cousine. Wenn sich in der Stadt Unruhe ausbreitet, sind wir zumindest draußen und ...«
»In den Bergen, zu Fuß, ohne Proviant und am Ende des Winters«, meinte Kieran. »Aber die Vorstellung ist nicht übel. Wenn man sieht, dass wir Miranei erst nach all dieser Aufregung zum ersten Mal betreten, dürfte es leichter sein, die Stadt wieder zu verlassen, als wenn wir versuchen uns hinauszuschleichen, wenn erst einmal bekannt wird, was heute Morgen passiert ist.«
Am Ende des Ganges war kein Posten aufgestellt, aber drei Mann bewachten eine kleine Tür, die im Westturm eingelassen war. Einer der Soldaten trug die Abzeichen eines ranghohen Hauptmanns. Er lehnte lässig an der grausigen Fratze eines Wasserspeiers, die aus angelaufenem Metall gefertigt war und durch die weiten Nasenlöcher einen schwarzen Eisenring hatte.
»Ist das hier das Seitentor?«
»Ja«, erklärte Anghara. Ihre Stimme war kaum lauter als ihr Atem. »Die Tür ist aus Stein. Von draußen kann man sie nicht sehen. Sie sieht wie ein Teil des Mauerwerks aus ...«
Plötzlich herrschte völlige Stille. Als Kieran sich umdrehte, sah er, wie Anghara lautlos zusammenbrach und von Charo aufgefangen wurde. »Aus«, erklärte Charo. »Wie eine Kerze. Es war einfach alles zu viel.«
Kieran blieb kurz stehen, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch der Soldaten bei der Tür zu. Seine Lippen wurden zu einer schmalen Linie. »Setz sie hier hin und bete, dass niemand kommt, bis wir fertig sind. Schnell, Charo! Wenn wir heute in Miranei noch mehr Lärm machen, kommen wir hier nie mehr raus. Ich übernehme den Hauptmann.«
Charo nickte. »Die beiden anderen gehören mir.«
Die Überraschung glückte perfekt. Der kurze Moment, in dem die Soldaten nichts anderes tun konnten, als mit offenem Mund die beiden Gestalten anzuglotzen, die aus dem Schlund der Festung auftauchten, reichte Kieran und Charo. Der Hauptmann hatte noch Zeit, den mit Juwelen besetzten Dolch aus der Scheide zu ziehen, blickte dann aber umher, als wisse er nicht, was er damit anstellen sollte. Ganz offensichtlich ein Höfling aus dem Bilderbuch. Nur wenige Männer in Sifs Armee hatten Führungspositionen durch Hofämter anstatt aufgrund ihrer Verdienste. Der Hauptmann, der an diesem Morgen am Seitentor Wache hatte, war einer davon. Kieran hatte keine Skrupel, ihn zu erledigen. Als er sich aufrichtete, kam ihm sogar der Gedanke, dass er Sif womöglich einen Gefallen getan hatte. Er drehte sich um und sah Charo, der sich über einen zweiten Soldaten beugte, den er soeben besiegt hatte. Kieran sah, wie sich die Brust des Mannes in schnellen aber flachen Atemzügen bewegte.
Charo schien seltsam zu zögern, ihm den Todesstoß zu versetzen.
»Was ist?«, fragte Kieran und trat einen Schritt näher.
»Der andere ist tot, aber dieser hier, das ist Melsyr«, sagte Charo. »Ich habe ihm nur die Schulter durchbohrt. Er wird ordentlich bluten, sodass es überzeugend so aussieht, als habe er gekämpft. Aber sein Leben war nie in Gefahr.« Charo lächelte das gefährliche, wölfische Lächeln eines Mannes, der soeben getötet hatte – eines Mannes, der den Sieg roch. »Er hat ein
Weitere Kostenlose Bücher