Die Rueckkehr der Phaetonen
schwieg eine Zeitlang. »Die Regierung verlieh ihr den Heldentitel«, endete er.
»Mit Recht«, sagte Petrow.
»Und ihr Mann bekam diese Auszeichnung, als er noch lebte«, fuhr Sewerskij fort. »Sich für seine Frau und seine Heimat rächend, tötete er mehr als vierhundert Deutsche.«
Vor Ehrfurcht trat Petrow sogar auf die Bremse. In seinem jungen Gesicht standen Erstaunen und Begeisterung. »Was für Menschen! Sie müssen sehr stolz sein, Michail Petrowitsch!«
Sewerskij lächelte. »Nicht nur ich«, sagte er. »Unser ganzes Volk ist stolz auf sie ... Fahren wir lieber weiter.« Nach einigen Minuten Schweigen fügte er hinzu: »Mein Freund schonte sich keineswegs im Feuer des Krieges, aber nach seinem Tod wäre er tatsächlich fast verbrannt.«
»Wie denn das?«
»Ja, das müssen Sie sich mal vorstellen. An dem Tag, als sein Leichnam in den Sarg gelegt wurde, gab es im Zimmer einen Brand. Er wurde nicht sofort bemerkt. Das Blei hätte schmelzen können, doch zum Glück kam es nicht soweit.«
»Der Sarg war aus Blei?«
»Ja. Man entschied, die Überreste von Dmitrij, so hieß mein Freund, nach Moskau zu überführen. Alle seine Freunde, die Kollegen aus dem Ministerium und die Kameraden aus seinem alten Regiment haben darum gebeten. Alle, die ihn kannten, liebten ihn. Also bestellten wir einen hermetischen Bleisarg und baten die Pariser Ärzte, für die Unversehrtheit des Körpers zu sorgen, wenigstens für eine Woche. Ein bekannter Medizinprofessor nahm sich der Sache an. Wir wollten den Leichnam nicht balsamieren, sondern ihn nur vor der schnellen Verwesung bewahren. Als Dmitrij starb, injizierte der Professor irgendwelche Präparate in seinen Körper, und der Sarg wurde unter großem Druck mit Edelgas gefüllt. Der Professor versicherte uns, dass der Leichnam, solange man den Sarg nicht öffnete, lange Zeit unversehrt bleiben würde. Aber der Sarg blieb geschlossen.«
»Wegen des Brandes?«
»Ja. Unter Einwirkung des Feuers haben sich die beiden Sarghälften aneinander geschweißt. Es hätte keinen Sinn gehabt, den Sarg wieder zu öffnen — der Leichnam war sicher stark beschädigt worden.«
»Ein wirklich merkwürdiger Fall... ich würde fast schon sagen, unheimlich. Aber Michail Petrowitsch, warum haben Sie mir denn nicht gesagt, wohin wir fahren und wozu? Ich hätte in Moskau einen Kranz kaufen können.«
»Das macht nichts. Wir können beide einen Kranz niederlegen - ich habe zwei davon mitgenommen.«
Petrow fuhr langsamer — inzwischen befanden sie sich bereits in der Stadt. Auf einer Kreuzung hielt er an und unterhielt sich kurz mit einem Verkehrspolizisten. »Noch etwa drei Minuten Fahrt«, sagte er, als er sich wieder ans Steuer setzte. »Jetzt links, dann ist ein Park am Ende der Straße. Offenbar kennt man dieses Grab hier sehr gut.«
Das Auto fuhr langsam weiter.
Michail Petrowitsch sagte nichts. Er war sehr aufgeregt. Bald würde er an der Stelle sein, an der die Menschen ruhten, die ihm am meisten bedeuteten. Sie erschienen vor seinem inneren Blick so, als würden sie noch leben. Da war Irinas hübsches Gesicht, mit großen schwarzen Augen und wildem hellen Haarschopf über der klaren Stirn, und daneben Dmitrijs Augen, die genauso schwarz waren wie die von Irina, seine charakteristischen Gesichtszüge und dünne, fest zusammengepresste Lippen ...
Das Auto blieb stehen. Vom Parktor ging eine breite Allee hinein. An ihrem Ende sah man einen weißen Obelisken. »Da ist das Grab«, sagte Petrow.
Sie nahmen die Blumenkränze mit, die in durchsichtiges dünnes Papier gewickelt waren, und gingen die Parkallee entlang.
Das Grab war von einem niedrigen Gusseisengitter umzäunt und mit Blumen überschüttet. Eine Unmenge von Kränzen, unter denen es sowohl alte wie auch ganz frische gab, zeugte davon, dass die Stadtbewohner die Helden niemals vergaßen. Einige Pionierhalstücher, die an die Umzäunung gebunden waren, erinnerten an Schulklassenbesuche.
In den weißen Marmor des Obelisken, unter einem goldenen Stern, war eine vergoldete Inschrift gehauen:
HELDEN DER SOWJETUNION Dmitrij Alexandrowitsch und Irina Petrowna WOLGIN 1
Petrow und Michail Petrowitsch nahmen ihre Mützen ab. Ein paar Minuten standen sie schweigend da und hielten ihre Kränze in den Händen. Dann wickelten sie das Papier ab, und Sewerskij schritt vorsichtig über die Umzäunung und legte die Kränze an den Obeliskensockel. »Ruht in Frieden, meine Lieben«, flüsterte er. »Ihr habt eurem Volk gut gedient. Die
Weitere Kostenlose Bücher