Die Rueckkehr der Phaetonen
Erde bekam. Die überwiegende Mehrheit dieser Filme war farbig und räumlich, nur die ganz alten, die aus Wolgins Zeit stammten, waren die flachen und schwarzweißen Bilder seiner Jugend. Wolgin war erschüttert, als Muncius ihm am Anfang seiner Lektionen den Film »Lenin im Oktober« zeigte, den Wolgin zum letzten Mal vor fast zweitausend Jahren gesehen hatte.
Dank dieser Filme hörte Wolgin die Geschichte nicht nur, sondern konnte auch sehen, wie sie vor seinen Augen wieder zum Leben zu erwachen schien. Er sah Menschen, die lange nach seinem Tod und gleichzeitig lange vor der Gegenwart gelebt hatten und das verursachte eine seltsame Verwirrung in seinen Gedanken. Für die heutige Welt waren es die Menschen aus der Vergangenheit, doch für Wolgin waren und blieben sie die Menschen der Zukunft.
Die Technik des Kinos selbst hatte nichts mit dem gemeinsam, was Wolgin kannte. Einen Bildschirm, an den er gewöhnt wäre, gab es nicht. Der Film wurde in einem gewöhnlichen Zimmer mit gewöhnlichen Möbeln vorgeführt. Der Projektor sah aus wie ein kleiner metallischer Kasten, der nicht etwa hinter den Zuschauern stand, sondern vor ihnen. Auch das Licht wurde nicht gelöscht - die Vorführung fand bei normaler Beleuchtung statt, deren Quellen übrigens auch unbekannt waren. Man hatte den Eindruck, als wären es die Wände und die Zimmerdecke, die dieses Licht ausstrahlten, das natürlich nicht mehr elektrisch sein konnte. Aus dem Buch, das er jetzt las, wusste Wolgin, dass das »Jahrhundert der Elektrizität« nicht lange nach seinem ersten Tod zu Ende gegangen und durch ein »Atomjahrhundert« abgelöst worden war, welchem dann noch weitere folgten, die immer seltsamere und unverständlichere Namen hatten. Im Jahre achthundertsechzig der Neuen Ära basierte die gesamte Technik auf der Energie der unbekannten und für Wolgin vollends unverständlichen »Kathronen«.
Wenn Muncius einen Film vorführen wollte, legte er eine Kassette, die Wolgin an Kassetten erinnerten, die zu seiner Zeit zu den »FED«-Fotoapparaten gehörten, in den Projektor. Dann setzte er sich neben Wolgin und die Vorführung begann.
Der Vorführapparat verschwand und auch das Zimmer, in dem sie sich befanden, wurde unsichtbar. So, als wären sie wirklich, erschienen die Personen aus dem Film und die Umgebung, in der sie sich befanden - ob Wälder, Berge, die Weiten des Ozeans, Flüsse oder Seen. Die Nachbildung der Wirklichkeit war perfekt, und man wurde den Eindruck nicht los, dass man richtige Menschen und wirkliche Natur sah, wenn zwei Schritte entfernt eine Menschenmenge wogte oder sich die Weite des Ozeans auftat, wenn man das Rauschen der Wellen hörte und das Gesicht von der kühlen Brise umweht wurde. Nur der augenblickliche Bildwechsel, der dem Kino eigen war, erinnerte daran, dass es nicht das wirkliche Leben war. Wenn Wolgin die historischen Persönlichkeiten sah und sie so nahe sprechen hörte, hatte er immer die unwillkürliche Angst, dass sie ihn auch sehen würden. Er ertappte sich immer wieder dabei, dass er das, was hier geschah, vergaß und sich so verhielt, als wäre er tatsächlich bei dem Gespräch dabei. Wenn er sich dann wieder erinnerte, dass es nur ein Film war, sah er Muncius aus den Augenwinkeln an — ob dieser vielleicht über ihn lachte. Aber das Gesicht des gastfreundlichen alten Mannes blieb immer ernst. Muncius sah sich das, was auf dem »Bildschirm« passierte, aufmerksam an und gab ab und zu halblaute Erklärungen, wenn er meinte, dass die Handlung für Wolgin unklar sein könnte.
>Wenn ich Kinder gehabt hätte<, dachte Wolgin oft, >könnte ich vielleicht meine Nachfahren sehen, die tausend Jahre nach mir und gleichzeitig tausend Jahre vor der Gegenwart gelebt haben.<
Dann ging der Film zu Ende und wie in einem Märchen erschienen sofort wieder die Zimmerwände und der kleine wundersame Kinoprojektor. Muncius wechselte die Kassette und die Handlung lebendiger Geister, die real und zauberhaft in ihrer Unerklärlichkeit war, ging weiter. Wenn man einen alten Film vorführen musste, der einen Bildschirm verlangte, drücke Muncius einen Knopf auf dem Apparat und vor ihnen erschien ein weißes Rechteck in der Luft, das so dicht und unbeweglich war wie eine richtige Leinwand aus dem zwanzigsten Jahrhundert.
Nach einer Vorführung, die für gewöhnlich etwa drei Stunden dauerte, konnte sich Wolgin lange nicht von einer unerklärlichen Sorge befreien. Alles, was er sah, war absolut ungewohnt, es war völlig anders als
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