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Die Rueckkehr der Phaetonen

Titel: Die Rueckkehr der Phaetonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgi Martynow
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das, was er gekannt hatte. Die neue Technik, die für ihn plötzlich zeitgenössisch geworden war, machte einen verblüffenden Eindruck, umso mehr, da Wolgin ihre Grundprinzipien überhaupt nicht verstand.
    >Wenn ein Mensch aus dem zweiten Jahrhundert unserer Ära damals zu uns in das zwanzigste geraten wäre<, dachte er, >hätte er sicher das gleiche Gefühl beim Anblick von Telefonen, Radios und Kinos, wie ich es immer habe.<
    »Das ist völlig falsch«, sagte Muncius, als Wolgin ihm von diesem Gedanken erzählte. »Sie unterschätzen die Rolle des zwanzigsten Jahrhunderts in der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung. Sie werden nach einiger Zeit alles verstehen können, was Sie jetzt erstaunt, aber ein Mensch nicht nur aus dem zweiten, sondern auch aus dem fünfzehnten Jahrhundert würde nichts von der Technik des zwanzigsten verstehen können. Alle Grundsteine für unsere heutige Technik sind im neunzehnten und im zwanzigsten Jahrhundert gelegt worden. Wir Historiker nennen sie >die Jahrhunderte des Anfangs«, und das nicht nur deshalb, weil damals die Entwicklung der Wissenschaft angefangen hat, sondern auch darum, weil damals die Grundsätze des gesellschaftlichen Lebens erschaffen wurden, welches für diese Entwicklung so etwas wie ein Fundament ist. Ihr Problem, Dmitrij, liegt darin, dass Sie keine technische Ausbildung haben und die Technik Ihrer Zeit nicht so gut kennen. Deswegen ist es auch schwer für Sie, auf Anhieb die jetzige zu verstehen — aber dass Sie es früher oder später werden, daran besteht überhaupt kein Zweifel.«
    Diese Worte brachten Wolgin eine große Befriedigung. Er zweifelte nicht daran, dass Muncius offen sprach, dass er genau das sagte, was er auch dachte. Es hatte schon vorher einige Fälle gegeben, in denen der alte Historiker offen und ehrlich Gedanken äußerte, die für Wolgin keineswegs angenehm sein konnten. Er wusste bereits, dass die völlige Offenheit eine Eigenschaft war, die alle seine Zeitgenossen auszeichnete, und dass sie alle einander immer die Wahrheit sagten. Und warum sollte es in ihrem Leben überhaupt Lügen geben? Für sie gab es keine Gründe mehr, es existierten keine Anlässe mehr, um unaufrichtig zu sein.
    In den vergangenen Monaten dachte Wolgin oft an seinen Status in dieser für ihn fremden Welt, in die er bald als vollwertiges Mitglied hinausgehen sollte. Würde er den Menschen als zu sehr zurückgeblieben Vorkommen, vielleicht gar den Eindruck eines Wilden auf sie machen? Es war doch so, dass er vom Standpunkt moderner Menschen absolut ungebildet war und von nichts auch nur eine entfernte Vorstellung hatte. Die Frage nach den Existenzmitteln würde sich für ihn niemals stellen - und zwar nicht deshalb, weil er den Status eines »Gastes« besaß, sondern weil es diese Frage auf der Erde überhaupt nicht mehr gab. Dennoch hatte Wolgin nicht die geringste Lust, sich mit der Rolle eines passiven Beobachters zufrieden zu geben und wollte so arbeiten wie alle anderen auch. Wie sollte man denn sonst einen ebenbürtigen Status erlangen? Nur durch das, was man tat - einen anderen Weg gab es da nicht. Also biss er sich mit noch größerem Eifer durch die technischen Bücher, ohne sich zu schämen, wenn er Muncius wegen etwas fragen musste. Aber die Antworten eines Historikers und Archäologen konnten Wolgin nicht immer zufriedenstellen, wenn es um Themen ging, die Muncius selbst nicht so gut beherrschte. In solchen Fällen, die immer öfter vorkamen, verspürte Wolgin eine seltsame Genugtuung - ein Wissenschaftler aus dem neununddreißigsten Jahrhundert wusste auch nicht alles und folglich konnte die Kluft zwischen ihnen auch nicht so groß sein. >Es ist keine bodenlose Schlucht, die uns trennt«, dachte Wolgin, >sondern nur ein tiefer Graben, über den man durchaus eine Brücke spannen kann. Und genau das werde ich auch tun!<
    Tatsächlich gab es auch nichts, das ihn daran hindern konnte, sein Vorhaben zu verwirklichen. Alles, was er für die Selbstbildung brauchte, stand ihm zu Diensten. Jeder Wissenschaftler würde ihn ausführlich beraten, jeder Ingenieur würde sich freuen, wenn er ihm helfen könnte. Wolgin hatte aber keine Lust, sich an jemanden zu wenden — von Muncius und Lucius, der ihn ab und zu besuchte, mal abgesehen. Auch wenn er wusste, dass er sich selbst dadurch das Leben schwerer machte, konnte er diesen falschen Ehrgeiz dennoch nicht überwinden. Er hatte sich fest vorgenommen, erst dann in die Welt hinaus zu gehen, wenn die

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