Die Rueckkehr der Phaetonen
»Brücke« über dem »Graben« überquert war.
Physisch fühlte sich Wolgin hervorragend und strotzte buchstäblich vor Energie. Sein Verstand arbeitete klar und präzise und auch sein Gedächtnis war noch nie so gut gewesen wie jetzt. Sein Körper, der aus der Obhut von Lucius und Io gekommen war, schien jetzt jünger zu sein als in Zeiten seiner wirklichen Jugend — jünger und voller Leben. Er arbeitete zwölf Stunden am Tag, und Lucius, der über alles, was geschah, von Muncius wusste, war deswegen alles andere als erfreut. Aber all die Vorwürfe, die ihm sein neuer Vater deswegen machte, beantwortete Wolgin mit einem und demselben Satz: »Ich will so schnell wie möglich in die Welt gehen« - und dazu konnte Lucius einfach kein überzeugendes Gegenargument finden. Diese geistige Abgeschiedenheit wunderte Lucius genauso wie seinen Vater und die beiden konnten die Gründe dafür einfach nicht begreifen. Trotzdem versuchten sie nie, ihn umzustimmen - das war Dmitrijs Wille und niemand würde je auf die Idee kommen, sein Recht auf Handlungsfreiheit zu bestreiten.
Worüber sich Wolgin ebenfalls oft wunderte, war die Tatsache, dass niemand während der gesamten vier Monaten einen einzigen Versuch unternommen hatte, ihn zu sehen. Kein Mensch erschien jemals im Haus, obwohl es rein gar nichts gab, was einen Neugierigen daran hindern konnte. Sogar Lucius fragte Wolgin jedes Mal, wenn er kommen wollte, zuerst um Erlaubnis. Im zwanzigsten Jahrhundert wäre es auf jeden Fall ganz anders gewesen -wenn damals plötzlich jemand aufgetaucht wäre, der von den Toten auferstanden war, würde man die die Schaulustigen, die ihn um jeden Preis sehen wollten, gar nicht loswerden können. Und das Haus von Muncius stand in aller Offenheit da - es gab keinerlei Zäune oder Mauern, die den schönen Garten von der restlichen Landschaft trennten und an den Türen waren keine Schlösser. Wolgin wusste, dass dieser Garten nicht nur Muncius gehörte, sondern auch den Bewohnern der benachbarten Häuser. Alle konnten ihn betreten — nach alter Ausdrucksweise wäre es so etwas wie ein kollektiver Garten gewesen. Es hatte zweifellos viele Menschen gegeben, die vor Wolgins Erscheinen in diesem Garten spazierten oder sich ausruhten - aber jetzt waren sie alle nicht mehr da. Niemand störte Wolgins Einsamkeit, kein einziger Aref flog je tief über dem Haus und niemand gab sich der Versuchung hin, seine Neugier, die zweifellos vorhanden war, vor der Zeit zu befriedigen.
Wenn Wolgin daran dachte, fing er langsam an, die Tatsache zu verstehen, die ihm zuerst so sonderbar vorgekommen war — die allgemeine Besorgnis über die Folgen seiner Wiederbelebung, die ohne seine Zustimmung durchgeführt worden war. Er wusste jetzt, dass in dieser Welt der freie Wille eines Menschen für alle anderen heilig war, dass der Respekt voreinander zur zweiten Natur der Menschheit geworden war. Jedes Mal, wenn er allein sein wollte, wurde dieser Wunsch einfach und natürlich erfüllt - eine andere Verhaltensweise konnten sich die modernen Menschen nicht einmal vorstellen. Es war die tatsächliche Freiheit, von der man zu seiner Zeit nur träumen konnte.
Wolgin wusste, dass man in der Welt gespannt auf sein Erscheinen wartete. Die gesamte Erdbevölkerung wollte ihn kennen lernen - und seinerseits beruhte dieser Wunsch natürlich auf Gegenseitigkeit. Mit jedem Tag wurde es für ihn schwerer, die vereinbarte Zeit zur Vorbereitung einzuhalten — er wollte, dass der große Tag so schnell wie möglich eintrat. Es würde nicht mehr lange dauern. Noch ein Monat, vielleicht eineinhalb - und der wieder zum Leben erweckte Mensch würde seine neuen Zeitgenossen sehen können.
2
All das, worüber Wolgin in den Büchern gelesen hatte — die Errungenschaften von Technik und Wissenschaft, die gesellschaftlichen Lebensbedingungen — besaß bis jetzt nur einen abstrakten Charakter. Er hatte noch nichts mit seinen eigenen Augen gesehen und alles nur rein theoretisch erfahren. Dennoch drang das moderne Leben immer wieder in seinen Alltag. Muncius’ Haus, auch wenn es etwas abseits von anderen Häusern stand, war ein Haus des neununddreißigsten Jahrhunderts und das Leben darin verlief unter denselben Bedingungen wie in den anderen Häusern. Doch für Wolgin waren diese Bedingungen natürlich alles andere als alltäglich und gewöhnlich.
Außer ihm und Muncius war kein weiterer Mensch im Haus. Sie wohnten zu zweit, und wenn Muncius weg flog, manchmal für mehrere Tage, blieb
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