Die Rueckkehr der Templer - Roman
die anderen empfanden. Was Khaled wohl von ihr denken mochte, wenn er die Wahrheit erfuhr? Sie zitterte leicht, als sie das schwarze, flache Kästchen vor Rona und in sicherem Abstand zu Khaled und dem Templer auf die Tischplatte stellte.
Lyn räusperte sich, bevor sie ihre fremdartige Melodie zu singen begann. Dabei wechselte sie einen raschen Blick mit Montbard, der sie so begierig anschaute, als wisse er schon, was nun auf ihn zukommen würde. Mit glockenheller Stimme sang sie die Tonabfolge, die exakt die Frequenzen enthielt, die den Server zu öffnen vermochten.
Der Deckel schnappte mit einem klickenden Geräusch auf, und der Einzige, der zurückschreckte, als sich der Nebel aus türkisfarbenen Lichtmolekülen hob, war Khaled. Seine Augen wurden für einen Moment so groß, dass seine bernsteinfarbene Iris komplett weiß umrahmt war. Ein panischer Seitenblick auf Montbard versicherte ihm, dass der Seneschall angesichts dieses unglaublichen Ereignisses eine erstaunliche Ruhe bewahrte.
Über der flachen Kiste baute sich Zug um Zug eine schwebende Bildfläche auf, und nach einer Weile bemerkte Khaled, wie etwas Fremdes von seinem Geist Besitz ergriff und sein Denken von beängstigenden Szenen überflutet wurde, die – wie Lyn ihm in unaufgeregtem Ton erklärte – in ferner Zukunft geschahen. Darunter auch Bilder der bevorstehenden Vernichtung der Templer durch einen französischen König, der noch gar nicht geboren war, sowie Bilder von den sich daran anschließenden, verheerenden Hungersnöten, weil das perfekt organisierte Versorgungssystem der Templer mit einem Schlag zusammengebrochen war. Bilder von Leibeigenschaft und Sklavenhaltung, weil der Orden nicht mehr regulierend in eine menschenverachtende Gesetzgebung eingreifen konnte. Und nicht zuletzt Bilder der brutalen Verfolgung |180| Andersgläubiger durch die Inquisition, die mit der Auflösung des Ordens erst ihren wahren Anfang annehmen würde.
Es folgten weitere Szenen von einer grauenhaften Seuche, von Feuer und Tod, von hungernden, schwer verletzten Menschen und von tödlichen Maschinen, wie Khaled sie sich selbst in seinen finstersten Träumen nicht vorzustellen gewagt hätte. Unendlich grausame Religionskriege folgten in mehreren Sequenzen, Hexenverbrennung, sterbende Soldaten in sumpfigen Gräben, deren Innerstes durch ein Gas zersetzt wurde, das ihnen den Atem nahm und Khaled in dem Gefühl zurückließ, selbst auf der Stelle ersticken zu müssen. Danach folgten Bilder von Flaggen mit riesigen, schwarzen Hakenkreuzen, von Judenpogromen, Flugmaschinen, einstürzenden, gigantischen Türmen und von einem Bombenkrieg, der die Überlebenden zu unmenschlichen Dämonen degradierte, die sich nicht davor scheuten, ihren wehrlosen Mitmenschen die intimsten Gedanken zu stehlen und sie zugleich über Generationen hin zu versklaven.
Wenn Khaled je gedacht hatte, die Hölle zu kennen, so hatte er sich angesichts dieser Vorführung gründlich geirrt.
Auch Bruder André erschien ihm nun wie gebannt, und Khaled fragte sich, ob er auch die Stimmen und Geschehnisse in seinem Innern vernahm, die diese unerträgliche Apokalypse in einer erschreckend bildhaften Sprache erklärte und dabei keinen einzigen seiner Sinne schonte.
Zwischendurch fiel sein Blick auf Lyn, die nicht die furchteinflößenden Bilder fixierte, sondern ihn die ganze Zeit über zu beobachten schien und beruhigend ihre Hand auf seinen Arm legte, vielleicht weil sie wissen wollte, ob er die Wahrheit tatsächlich vertrug oder gelogen hatte, als er sagte, es würde ihm nichts ausmachen, wenn sie ihn in ihre Geheimnisse einweihte. Bei Allah, was war er für ein Narr gewesen! Sie stammte tatsächlich aus einer tausend Jahre entfernten Zukunft, hatte allem Anschein nach Raum und Zeit überwunden und schickte mit einem für sie simpel anmutenden Auftritt nicht nur sein Herz in einen tosenden Orkan, sondern stürzte mit einem einzigen Schlag alles in Zweifel, woran er je geglaubt hatte. O Allah, schoss es ihm durch den Kopf, und all seine Propheten, Eure Gnade kennt keine Grenzen, erbarmt Euch meiner ungläubigen Seele!
Als das Licht sich unvermittelt ins Innere des geheimnisvollen Kästchens |181| zurückzog und mit ihm die Bilder erloschen, herrschte für einen Moment absolutes Schweigen.
»Das«, erklärte Montbard, der sich überraschend schnell gefasst hatte, beinahe feierlich, »darf nur einem winzig kleinen Kreis von Eingeweihten zugänglich gemacht werden.« Sein Blick fiel auf Rona und
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