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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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verächtlich, aber er kletterte ebenfalls über die Felsen.
    »Nur ein paar Schritte, Levin!«, bat sie. »Ich muss sehen, wie die Stadt aus der Nähe aussieht. Ganz sicher hat sie was mit dem Medaillon zu tun!«
    Levin war blass und sah verstört aus. Er biss sich auf die Lippen. Schließlich nickte er. »Okay, ich komme mit. Wahrscheinlich bilden wir uns das sowieso nur ein«, murmelte er.
    Seltsamerweise fühlte sich Lis traumwandlerisch sicher, als sie ihrem Bruder voranging und die Planken betrat. Rechts und links schlugen die Wellen gegen die Pfosten, die tief im Meeresgrund verankert schienen. Immer näher kam die Stadtmauer, während ihre Schritte dumpf auf das harte Holz schlugen. Das Piratenschiff war nicht mehr zu sehen, und als Lis sich umdrehte, sah sie das schlafende Piran auf der Landzunge liegen. Kein einziges Licht leuchtete in den schwarzen Fensterhöhlen. Durch den Nebel schimmerte der Leuchtturm.
     
    Von nahem betrachtet sah die Stadtmauer noch viel grober und massiver aus. Die einzelnen Steine, aus denen sie zusammengesetzt war, waren riesig und kantig, mehrere Männer mussten nötig gewesen sein, um sie hochzuwuchten. Levin streckte die Hand aus und befühlte das Holztor. »Ich träume wohl doch nicht«, flüsterte er.
    »Bitte klopfe da nicht an!«, sagte Lis. Plötzlich blitzte Furcht in ihr auf, unwillkürlich sah sie wieder die Piraten vor sich. Vorsichtig blickte sie sich um und erstarrte. Dort wo der Leuchtturm und die Stadt gewesen waren, befand sich nur noch flaches Land mit Bäumen, die im Mondschein gespenstische Schatten warfen. Als der Wind die herabbaumelnde Kette bewegte, bemerkte sie, dass sie immer noch das Medaillon umklammert hielt. »Piran ist weg, Levin!«
    »Was?« Er wirbelte herum und starrte auf die Stelle, an der eben noch der Leuchtturm gewesen war. Sie waren so gebannt vom Anblick der leeren Landzunge, dass sie die Bewegung hinter ihrem Rücken nicht bemerkten. Erst als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, wachte Lis schlagartig aus ihrem Traumzustand auf. Reflexartig schlug sie die Hand weg und machte einen Satz zur Seite. Levin holte mit dem Priesterstab aus. Die Gestalt, die Lis bei der Schulter gefasst hatte, duckte sich. »Nicht!«, flüsterte der Fremde. »Ich bin es, der Torwächter.«
    Hastig tastete der Unbekannte zu seinem Hals und zog ein muschelförmiges Medaillon hervor. Rasch streifte er es sich über den Kopf, klappte es auf und gab es Lis. Im schwachen Schein des Mondes sah es genauso aus wie das Schmuckstück, das von Lis’ Hand baumelte. Levin stand immer noch mit dem erhobenen Priesterstab da, bereit zuzuschlagen, sollte der Fremde eine unbedachte Bewegung machen. Erst als Lis ihm die Hand auf den Arm legte, senkte er widerwillig den Stock. »Entschuldige«, sagte Lis zu dem Unbekannten, dessen Gesicht sie in der Dunkelheit kaum erkennen konnten. »Wir wussten nicht…«
    Er machte eine ungeduldige Bewegung, die sie zum Schweigen brachte, und sah sich hastig um. »Ja, ja«, sagte er. »Kommt, wir haben nicht viel Zeit.« Er sprach in einem seltsam gedehnten Dialekt, der sehr altertümlich klang, aber Lis war froh, dass sie ihn zumindest einigermaßen gut verstand.
    Der Torwächter huschte an ihnen vorbei und winkte ihnen, ihm zu folgen. Lis und Levin wechselten einen ratlosen Blick, dann duckten sie sich ebenfalls und schlichen hinter ihm her. Er umrundete die Stadtmauer, bis sie zu einem schmalen Vorsprung kamen, der mit einer Kletterpflanze überwachsen war. Zu Lis’ Überraschung schob der Fremde die Zweige und Blätter behutsam zur Seite und klopfte an eine niedrige Holztür, die sich dahinter befand. Im Grunde war es nicht viel mehr als eine Luke, die sich auf das Klopfzeichen des Torwächters hin öffnete. Der Wächter winkte Lis zu, als Erste hindurchzugehen. Um die Hände frei zu haben, steckte sie das Medaillon in die Anoraktasche, griff nach dem groben Türrahmen und zog sich durch die schräge Luke. Ehe sie sichs versah, landete sie in einem schachtartig abfallenden Gang, der von einer Fackel schwach beleuchtet wurde.
    »Willkommen!«, sagte eine weibliche Stimme. Ein rundes, freundliches Gesicht lächelte ihr entgegen.
    »Hallo«, erwiderte Lis verwirrt.
    Vor ihr stand eine große junge Frau mit nachlässig geflochtenem, kupferfarbenem Haar. Sie mochte vielleicht zwanzig Jahre alt sein und trug ein rostrotes Kleid, dessen Saum mit gestickten Spiralen verziert war. Erstaunt musterte sie Lis’ Regenjacke. In diesem Moment schwang

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