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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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ließ sie sich ihre Erschütterung nicht anmerken. Sie nickte lediglich und kniff die Augen zusammen, um Levin und Lis besser sehen zu können. »Und das sind eure Gäste aus dem fernen Reich des Gottes Swantewit?«, fragte sie.
    Levin und Lis ergriffen die papiertrockenen Hände, die die alte Frau ihnen entgegenstreckte. Zlata musterte ihre Gesichter eingehend und so lange, dass sie beide nervös wurden. »Der Priester und seine Dienerin, nicht wahr? Ihr könntet Geschwister sein!«
    Lis spürte, wie ihr Herz einen Sprung machte.
    Zlata lächelte sie zahnlos und freundlich an. »Man sagte mir, du liest die Zukunft aus Eidechsenknochen?«, fragte die alte Frau weiter. »Du musst mir deine Kunst zeigen. Ich lese alles, was ich wissen will, in den Augen der Menschen, deren Seelen mich berühren – und ein wenig hilft mir der Rauch des heiligen Feuers.«
    »Bist du eine Priesterin?«, fragte Lis.
    Zlata lachte. »Die älteste aller Priesterinnen, mein Kind.« Mühsam richtete sie sich weiter im Bett auf. Tona sprang herbei und half ihr dabei, ihre Beine bequem zu betten. Zlata ächzte und fuhr fort. »Vor vielen Jahren habe ich der Mutter der Fürstin Danila gedient. Damals gab es noch keinen Priesterturm, wir beteten am Strand zur Göttin Nemeja und brachten Poskur Brandopfer auf der steinernen Stadtmauer dar.« Sie deutete auf die Holzfiguren der Götter. Lis wurde klar, dass die Meeresgöttin Nemeja die Gestalt einer Muräne hatte. »Ich weihte die Fürstin Danila, als sie geboren wurde. Als drittes Kind, ein Glückskind. Ihre zwei älteren Geschwister starben im Krieg, deshalb war sie es, die später mit Fürst Dabog ganz Antjana regierte. Sie ließen die Stadt befestigen, sie schufen neues Land im Meer, sie bauten Dämme, ließen Land aufschütten und ersetzten die hölzernen Pfahlbauten durch Häuser aus Stein. Schließlich erbauten sie auf Niams Rat hin den Priesterturm. So gingen viele Jahre ins Land und Fürstin Danila gebar neun Kinder. Fünf starben durch das Buchtfieber.« Sie holte rasselnd Luft und knetete die bestickte Decke mit ihren langen Fingern.
    »Und dann wurde die zehnte Tochter geboren?« Levins Stimme klang leise, als befürchtete er, die alte Frau aufzuschrecken.
    Sie sah ihm fest in die Augen und wurde ernst. Ein harter Zug schlich sich in ihr Gesicht, ließ es knochig und viel älter aussehen. »Die Desetnica, ja«, sagte sie und seufzte. »Sie war stark, sehr stark sogar für so ein kleines Mädchen. Sie überlebte das Buchtfieber und wuchs allen ans Herz. Königin Danila weinte und klagte, als die Priester das Kind einforderten. Sie wollten es Poskur opfern, doch ich ließ mich von Danilas Bitten erweichen und rief das Orakel. Das Meer war stürmisch an diesen Tagen, Blitze zuckten über den Himmel. Die Sturmflut rüttelte an den Stadtmauern. Das Orakel sagte mir, dass Nemeja das Opfer für sich forderte. Es gab einen erbitterten Streit zwischen Danila und Poskurs Priestern, doch schließlich stellte sich auch Fürst Dabog auf die Seite der Priester. Er erklärte sich einverstanden, das Kind zu töten und dem heiligen Feuer zu übergeben. Danila aber gab mir das Mädchen und ich brachte es zum Strand, legte es auf ein Floß und hängte ihm ein getrocknetes Muränenherz um den Hals. Danila weinte lange Zeit.«
    »Die Desetnica wurde auf dem Meer ausgesetzt?«, fragte Levin.
    »Danila hat sie Poskur entrissen und stattdessen Nemeja geopfert. Schließlich war sie das zehnte Kind«, antwortete Zlata, aber sie sah bei diesen Worten Lis an und nicht Levin. Verschwörerisch beugte sie sich etwas weiter zu ihr. Der Blick aus diesen alten, gelblichen Augen berührte Lis’ Seele. Es fühlte sich an, als würde sich ein Knoten in ihrem Inneren lösen. Alle Angst, die sie jemals gespürt hatte, schien aus ihr herauszufließen. Plötzlich fühlte sie sich sehr stark.
    »Doch ich tat etwas«, fuhr Zlata flüsternd fort, »was ich noch nie zuvor getan hatte. Ich bat die Göttin, die Desetnica nicht zu verschlingen, sondern sie auf ihrem gewaltigen Rücken aufs Land zu tragen. Ich sah in die Augen des Kindes und wusste, dass es nicht bereit war zu sterben. Das habe ich Danila nie erzählt.«
    »Warum haben wir heute nur Fürst Dabog gesehen? Lebt Danila nicht mehr?«, flüsterte Lis.
    »Sie ist umgekommen, ja. Und ich beinahe mir ihr«, sagte die alte Frau und klopfte auf ihr rechtes Bein wie auf ein Stück Holz. »Es war das Jahr, als im Palast Feuer ausbrach. Das halbe Gebäude brannte ab. Die Fürstin

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