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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Matej hatte den Kopf gehoben und beobachtete sie aus unergründlichen Augen, die im Feuerschein zu flackern schienen. Ich mache mich lächerlich, dachte Lis und zog ihr gewebtes Halstuch zurecht, das Tona ihr geschenkt hatte.
    »Komm, Lisanja!«, rief Tona und tanzte um sie herum. Ihr langes Haar streifte Lis’ Schulter. Es kitzelte und sie musste lachen. Plötzlich spürte sie zwei Arme, die von hinten ihre Taille umfassten. »Tanze, kleine Schwester!«, flüsterte Tona ihr ins Ohr. Der wogende Rhythmus übertrug sich auf ihren Körper, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie schloss die Augen und spürte der Tanzbewegung nach, dann fühlte sie plötzlich Tona nicht mehr, denn sie tanzte! Plötzlich war alles voll von sich drehenden, schwingenden Körpern. Flüchtig sah sie Levins erstauntes Gesicht und Matejs ernsten Blick und sie warf den Kopf zurück und lachte, lachte und drehte sich, tanzte Nemejas Tanz, den schlangengleichen Wassertanz, bis sie kaum mehr atmen konnte.
    Es war schon spät in der Nacht, als Zoran durch die niedrige Tür in seine Hütte trat. Er reichte Tona einen nassen Beutel voller Fische. »Ich habe wieder Schiffe gesehen!«, sagte er. »Es sind Sarazenen.«
    Die anderen ließen alles, was sie gerade in der Hand hatten, sinken.
    »Wo?«, fragte Tona.
    »Im hinteren Teil der Bucht, hinter der Landspitze. Ich habe dort gefischt, als ich sie vor der Küste am Horizont sah. Es waren drei. Sie beobachten die Stadt.«
    Matej, der am Feuer gesessen hatte, sprang auf. »Ich gehe als Kurier zur Desetnica und finde heraus, was für eine Botschaft die gefangenen Kuriere uns bringen sollten«, sagte er. »Heute Nacht.«
    Zoran winkte mit seiner großen Hand ab. »Niemand käme aus der Stadt heraus, auch nicht auf den verborgensten Wegen. Wächter stehen überall, auch dort, wo sich unser Geheimgang beim Stadttor befindet. Natürlich sind die Schiffe nicht unbemerkt geblieben. Die Kuriere aus der Palastvorstadt haben berichtet, dass die Wächter angefangen haben, die Geheimgänge zuzuschütten und die größeren Fischerboote in den Lagerräumen des Palastes einzuschließen.« Ein entsetztes Raunen erhob sich, das Zoran mit einer Handbewegung zum Verstummen brachte. »Dennoch werde ich heute Nacht zur Stadtmauer gehen und Ausschau halten. Vielleicht steht der Angriff unmittelbar bevor.«
    Levin legte seine Schnitzerei beiseite. »Wir können auf die Stadtmauer?«
    Tona nickte ihm zu. »Jeder kann auf die Stadtmauer steigen und aufs Meer schauen. Nicht weit von hier führt ein steiler Pfad zu einer Stelle, an der nur wenige Wächter stehen. Komm mit, wenn du willst.«
    »Lisanja, du begleitest mich!«, befahl Levin in seinem Hohepriesterton. Lis zuckte zusammen, nicht vor Schreck, sondern weil sie gerade noch den Impuls unterdrücken konnte, ihm eine unfreundliche Antwort zu geben. Noch immer hatte sie sich nicht an die Rolle der treuen Dienerin gewöhnt. Ärgerlich bemerkte sie, dass Matej sie mit einem unergründlichen Ausdruck im Gesicht beobachtete. Sie zwang sich zu einem Nicken und fuhr fort, den Fisch über dem Feuer zu drehen. Köstlicher Grillduft zog durch die Hütte und machte die Hunde nervös.
    Der Sichelmond stand schon hoch am Himmel, als sie zu viert loszogen. Matej ging voraus, Zoran und Levin folgten ihm, ganz hinten ging Lis. Sorgfältig prägte sie sich den Weg ein, der zwischen den Häusern hindurch über Hinterhöfe und dann steil bergan auf einen aufgeschütteten Wall führte. Schließlich standen sie vor einer groben und steilen Steintreppe, die schwindelerregend hoch auf eine Plattform führte. Lis versuchte nicht in die Tiefe zu schauen, sondern sich nur auf die jeweils nächste Stufe zu konzentrieren. Oben angekommen erkannte sie im schwachen Mondlicht, dass sie auf einer breiten Festungsmauer standen. Ein Wächter ging auf und ab. Er grüßte die Gruppe flüchtig. Vor ihnen erstreckten sich die Bucht von Strunjan und die Landzunge, auf der bis vor ein paar Tagen noch die Piraner Touristen spazieren gegangen waren. Lis kniff die Augen zusammen und betrachtete das dunkle Festland. Verzweifelt suchte sie wieder nach einem Anhaltspunkt, einer Kirchturmspitze, dem Glänzen einer Fensterscheibe, nach irgendetwas, das sie daran erinnerte, dass Piran immer noch da war, irgendwo, wenn auch vielleicht in einer anderen Zeit.
    »Dort musst du hinschauen, Lisanja«, sagte Matej leise und deutete auf den Horizont zum Golf von Venedig. »Wenn sie angreifen, dann von dort aus. Diese Seite

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