Die Rückkehr der Zehnten
des Fensters hinter den dicken, gewebten Vorhängen. Es war so leise im Zimmer, dass sie zuerst erschrak und sich aufrichtete. Ihr Bein war eingeschlafen, anscheinend war sie einfach da, wo sie gesessen hatte, zur Seite gesunken und neben Zlata auf dem Bett eingeschlafen. Atmete die alte Frau noch?
In der Ecke des Zimmers huschte ein Schatten vorbei, der Lis auffahren und zur Wand zurückweichen ließ. Jemand war am Fenster vorbeigegangen. Nun wurde es vor der Tür hell, als würde jemand eine Kerze mit flackernder Flamme in der Hand halten. Lichtschein floss durch den Spalt unter der Tür, dann schwang die Tür langsam auf. Matej betrat den Raum.
Mit einem Blick auf Zlata vergewisserte er sich, dass die alte Frau ruhig schlief, dann stellte er die Kerze auf einem der Altäre ab und drehte sich um, um einen großen Tontopf, den er unter dem Arm hielt, auf dem Boden abzustellen. Mitten in der Bewegung entdeckte er Lis und hielt inne. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, dann runzelte Matej die Stirn. »Was machst du denn hier?«, fragte er leise, um Zlata nicht zu wecken. »Bist du nicht bei den Priestern?«
»Karjan ist dort«, erwiderte sie. »Noch haben sie ihn nicht eingelassen. Und mir haben sie gesagt, ich soll mir eine Unterkunft suchen.«
»Und da kommst du ausgerechnet zu Zlata?« Er schüttelte den Kopf und fuhr sich über die Augen, als versuchte er vergeblich, sich so viel Dummheit an einem Ort vorzustellen. Als er sie wieder anschaute, schienen seine Augen im Kerzenschein vor Wut zu glühen. »Wie kannst du nur so unvorsichtig sein? Wenn Niams Späher dir nun gefolgt sind?« Der Ärger klang immer deutlicher in seiner Stimme, unwillkürlich sah er sich um, doch die Vorhänge waren unbewegt und im Hof war alles still.
»Und wenn schon?«, zischte Lis. »Suchen sie etwa nach einer alten Priesterin?« Natürlich war ihre Selbstsicherheit nur eine Maske, im Inneren schalt sie sich bereits dafür, dass sie nicht selbst daran gedacht hatte, sich ihre Wege besser zu überlegen. Aber es vor Matej zugeben? Niemals! Sie war sicher, er hätte sie am liebsten aus der Hütte gejagt. Es enttäuschte sie, dass er offensichtlich so wütend auf sie war. Bisher hatte sie ihn gern gemocht und hatte gehofft, bei einem Gespräch mehr über ihn zu erfahren. »Ist gut!«, sagte sie unwillig. »Ich gehe schon, ich wollte ohnehin nach Karjan sehen. Vielleicht hat Niam ihn inzwischen eingelassen.«
Matej wollte gerade noch etwas erwidern, als Zlata erwachte. Ihr Blick war so klar, als hätte sie nicht viele Stunden geschlafen. »Lisanja!«, sagte sie und lächelte Lis zu. »Bist du heute mein Gast?«
»Nein, ist sie nicht«, warf Matej ein und reichte Lis ihre Basttasche. »Sie wollte gerade gehen.«
»Wirklich, warum denn?« Zlatas Stimme klang bedauernd.
»Weil sie sonst Niams Späher auf unsere Spur bringt.«
»Verdammt, ich kann selbst reden!«, fuhr Lis ihn an und riss ihm die Tasche aus der Hand. »Du brauchst mich nicht zu behandeln, als wäre ich stumm oder blöd. Ist es verboten, Zlata zu besuchen?«
Matej blieb ruhig, aber Lis stellte mit Zufriedenheit fest, dass er vor Wut kochte.
»Matej, was erzählst du dem Mädchen?«, fragte Zlata. »Jeder besucht mich, auffällig wäre es allenfalls, wenn Menschen mich meiden würden. Bleib hier, Lisanja, und iss mit mir.«
Matej atmete hörbar aus und verschränkte die Arme. »Wenn sie hier bleibt, kann sie dir ja auch dein Essen geben, ich habe zu tun«, sagte er und drehte sich um. Bevor Lis etwas erwidern konnte, war er aus der Tür hinaus. Sie hörten, wie seine schnellen Schritte in der Gasse verhallten. Lis atmete aus und ließ ihre Tasche auf den Boden fallen. Sie ärgerte sich über seine schroffe Art und seinen Hochmut. »Was ist bloß los mit ihm?«, fragte sie Zlata.
Die alte Priesterin lächelte. »Er ist ein guter Mensch«, sagte sie leichthin. »Du darfst nicht auf sein Gesicht sehen und seinen Worten lauschen. Schaue hinter die Worte und du wirst erkennen, dass er ein Verlorener ist, einer, der keine Ruhe findet.«
»Trotzdem, er benimmt sich, als hätte ich ihn beleidigt. Dabei habe ich ihm nichts getan. Überhaupt nichts!«
»Setz dich endlich wieder zu mir, zorniges Mädchen«, sagte Zlata mit einem Lächeln. »Du bist ebenso wütend wie er – aber du verbirgst es besser.«
Lis errötete, aber sie merkte, dass ihr Ärger bereits zu verfliegen begann, und setzte sich zu der alten Priesterin. »Wo geht er jetzt hin?«
»Vielleicht auf
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