Die Rückkehr des Bösen
auf. »Das ist sie. Sie ist hier. O verdammt.« Aber das brachte mir die Entscheidung. Ich konnte ihnen vielleicht Zeit erkaufen.
Bevor ich noch darüber nachdenken und es mir vielleicht feigerweise anders überlegen konnte, riß ich mir die Amulette herunter, drückte sie Goblin in die Hand und lud Einauge unsere kostbaren Dokumente auf. »Danke, Jungs. Paßt auf euch auf. Vielleicht sehen wir uns wieder.«
»Was machst du da, verdammt?«
Mit dem Bogen in der Hand - jenem Bogen, den sie mir vor so langer Zeit geschenkt hatte - sprang ich in die Finsternis. Gedämpfte Proteste folgten mir. Ich hörte gerade noch, wie Tracker fragte, was denn los sei. Dann war ich verschwunden. Nicht weit entfernt verlief eine Straße und über mir schien eine schmale Mondsichel. Ich betrat die Straße und trabte im Schein des Mondes weiter, trieb meinen müden alten Leib bis an seine Grenze und versuchte einen so großen Abstand wie möglich aufzubauen, bevor mir das Unausweichliche zustieß.
Sie würde mich eine Zeitlang beschützen. Das hoffte ich jedenfalls. Und wenn man mich einfing, konnte ich für die anderen vielleicht noch Zeit schinden. Allerdings taten sie mir leid. Weder Einauge noch Goblin waren stark genug, um Raven zu tragen. Und allein schaffte Tracker es nicht. Wenn sie die Schreckenssteppe erreichten, würden sie nicht um die bedauerliche Pflicht herumkommen, alles Darling erklären zu müssen.
Ich fragte mich, ob es einer von ihnen fertigbringen würde Raven zu töten… Die Galle kam mir hoch. Meine Beine wurden schwach. Ich versuchte meinen Verstand mit Leere zu füllen, starrte auf die Straße drei Schritte vor mir, keuchte laut und lief weiter. Ich zählte meine Schritte. Von eins bis hundert, wieder und wieder. Ein Pferd. Ich konnte mir ein Pferd stehlen. Ich sagte mir das immer wieder, konzentrierte mich darauf, verfluchte mein Seitenstechen, bis vor mir Schatten aufragten, Reichssoldaten losbrüllten und ich in ein Weizenfeld türmte, während die Hunde der Lady hinter mir bellten. Beinahe wäre ich ihnen entkommen. Beinahe. Aber dann stieß der Schatten aus dem Himmel herab. Luft rauschte an einem Teppich entlang. Und einen Augenblick später verschlang mich die Finsternis.
Ich hieß sie als das Ende meines Elends willkommen und hoffte nur noch, daß sie von Dauer war.
Als ich wieder zu mir kam, war es hell. Ich befand mich an einem kalten Ort, aber in den Nordländern sind alle Orte kalt. Ich war trocken. Zum ersten Mal seit Wochen war ich trocken. Ich dachte an meine Flucht zurück, und die Mondsichel fiel mir wieder ein. Ein Himmel, der klar genug für einen Mond war. Erstaunlich. Ich öffnete ein Auge einen Spalt weit. Ich befand mich in einem Raum mit steinernen
Wänden. Er sah wie eine Zelle aus. Ich lag auf etwas, das weder hart noch naß war. Wie lange
hatte ich schon in keinem trockenen Bett mehr gelegen? Seit dem Blauen Schniedel. Ein Geruch drang in mein Bewußtsein. Essen! Warmes Essen auf einem Tablett, nur wenige Zoll neben meinem Kopf auf einem kleinen Tischchen. Irgendetwas, das wie zerkochtes Gulasch aussah. Götter, es roch so gut! Ich erhob mich so rasch, daß mir der Kopf schwirrte. Beinahe wurde ich ohnmächtig. Essen! Zur Hölle mit allem anderen. Ich aß wie ein ausgehungertes Tier, und das war ich ja auch. Ich war noch nicht ganz fertig, als die Tür aufgestoßen wurde. Sie explodierte krachend in den Raum hinein und prallte donnernd von der Wand zurück. Eine riesige Gestalt stapfte herein. Einen Augenblick lang saß ich mit dem Löffel auf halbem Weg zwischen Schüssel und Mund erstarrt da. Das Ding war menschlich? Es trat mit gezogener Waffe beiseite. Vier Reichssoldaten folgten ihm, aber ich bemerkte sie kaum, so sehr war ich von dem Riesen fasziniert. Eindeutig ein Mensch, aber größer als jeder andere, den ich je gesehen hatte. Und trotz seiner Größe bewegte er sich so leichtfüßig und gewandt wie ein Elf. Die Reichsmänner stellten sich zu beiden Seiten des Eingangs auf und präsentierten ihre Waffen.
»Na, was denn?« fragte ich, entschlossen, mit einem trotzigen Grinsen abzutreten. »Kein Trommelwirbel? Keine Posaunen?«
Ich nahm an, daß ich meiner Häscherin begegnen würde. Wenn ich richtig liege, dann immer auf unverhoffte Weise. Wisper erschien im Eingang. Ihr unerwartetes Auftreten erschreckte mich mehr als der dramatische Eintritt ihres riesigen Schlägers. Sie sollte doch die Westgrenze der Steppe besetzen. Falls sie nicht… Ich konnte es nicht zu Ende denken.
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