Die Rückkehr Des Bösen
Immerhin schien er es geschafft zu haben, sie von Keller abzulenken.
„Und dennoch“, fuhr sie fort, „hat die katholische Kirche in den vergangenen fünf zehn Jahren ungefähr fünfzehnhundert Priester, die wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt waren, wieder in ihr Amt eingesetzt. Bei einigen wohlgemerkt nach einem kleinen Urlaub in einem Wunder wirkenden Therapiezentrum.“ Sie rieb sich die Schultern, als sei ihr noch immer kalt. „Nach meiner Vermutung handelt es sich bei dem ,Sin-Eater’ um jemanden, der es schlicht und ergreifend leid ist, immer wieder erleben zu müssen, dass alles weitergeht, ohne dass jemand etwas unternimmt. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich muss gestehen, dass ich für sein Handeln tatsächlich fast so etwas wie Sympathie empfinde. Er unternimmt wenigstens etwas.“
„Gestern haben Sie noch vermutet, es wären zwei Killer“, wandte er ein. „Teenager, die missbraucht wurden und sich nun inspiriert durch ein Rollenspiel abreagieren.“
„Das ist durchaus möglich“, beharrte sie. „Jugendliche haben oft eine sehr klare Vorstellung von Gerechtigkeit.“
„Der Kopf von Vater Conley als Altarschmuck? Also, aus meiner Sicht hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun.“
Sie hielt einen Augenblick inne, sodass Pakula sich schon fragte, ob sie in ihrer Fantasie Conleys Kopf durch den von Keller ersetzte. „Ich glaube einfach nicht“, entgegnete sie, „dass derjenige, der O’Sullivan erstach, auch Vater Conley ermordet hat.“
„Was Ihrer Theorie von zwei Tätern entspräche.“ Dass Teenager Morde von diesem Kaliber begehen könnten, davon war Pakula bei weitem nicht überzeugt. Allerdings neigte er inzwischen dazu, sich Maggies Vermutung anzuschließen, dass es sich um mehrere Täter handeln musste.
„Was meinen Sie?“ fragte sie. „Warum fehlt dieser Pfarrer aus Florida wohl auf der Liste?“ Doch ehe er antworten konnte, fuhr sie bereits fort. „Es könnte bedeuten, dass Kellers Liste getürkt ist. Der Mörder spielt ihm die Namen zu, wohl wissend, dass Keller sie postwendend an die Ermittlungsbehörden weitergibt. Natürlich enthält diese Liste alle bisherigen Fälle, damit sie glaubwürdig erscheint. Warum aber steht dieser Vater Rudy nicht drauf?“
Sie goss sich heißes Wasser über einen frischen Teebeutel. Mit ihrer Teetrinkerei trieb sie es allmählich genauso arg wie er mit seinem Kaffeekonsum, dachte Pakula, erhob sich von seinem Platz und dehnte Rücken und Arme. In letzter Zeit hockte er einfach zu viel auf dem Hintern. Vielleicht würde es ihm ganz gut tun, ebenfalls etwas herumzulaufen. Allerdings gelangte er nur bis zu dem Servicewagen. Wäre doch ein Jammer, das Zeug verkommen zu lassen. Selbst wenn er deswegen eine halbe Stunde länger auf seinen Boxsack einprügeln müsste – ein paar von den Käsewürfeln musste er einfach probieren. Die hätte er sich jetzt verdient.
„Vielleicht war Vater Rudy ein Versehen.“ Er steckte sich gerade eine Weintraube in den Mund, als ihm seine Mailbox einfiel. „Moment mal! Ich hab ganz vergessen, dass ich eine Nachricht von meinem Bekannten unten in Pensacola habe.“ Er zog sein Handy aus der Tasche, klappte den Deckel auf und tippte sich durch die noch nicht abgehörten Nachrichten. Als die entsprechende Vorwahl aufleuchtete, drückte er auf „Abhören“ und hielt das Handy an sein Ohr.
„Hallo, Tommy. Ich muss mich kurz fassen, aber viel gibt’s ohnehin nicht zu berichten. Hab jemanden aufgetrieben, der meinte, dass Vater Rudy ein ziemlich mieser Vogel war. Aber auf kleine Jungs stand er offensichtlich nicht. Wie es scheint, hat er sich allerdings an ein elfjähriges Mädchen rangemacht. Falls du Näheres wissen willst, ruf mich heute Abend an.“
Pakula klappte sein Handy zu und starrte es an. Dann ließ er sich in den in der Ecke stehenden Sessel sinken. Bislang hatte er diesen Fall wie jeden anderen behandelt, angewidert wie immer, wenn es um Verbrechen an Kindern ging. Jetzt aber musste er an seine jüngste Tochter denken. Seine Kleine war vorigen Monat gerade elf geworden, und für einen kurzen Moment stellte er sich vor, wie sie sich ahnungslos einem Mann anvertraute, einem Priester, und wie dieser Priester den kindlichen Respekt und die Achtung ausnutzte, genau so, wie Maggie es vorhin ausgemalt hatte. Urplötzlich stieg eine unbändige Wut in ihm auf, und er verspürte den Drang, auf etwas einzudreschen.
Als er den Blick hob, bemerkte er, dass Maggie stehen geblieben war und ihn
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