Die Rückkehr Des Bösen
jetzt vor ihnen lag, wohl standhalten würde. Vielleicht bis zum Entfernen der Augen? Oder bis zu jenem saugenden Laut, wenn nach dem Aufsägen der Schädeldecke das Gehirn entnommen würde? Fast tat ihr Racine schon Leid. Am liebsten hätte sie ihr geraten, sich das Meer vorzustellen, das Anbranden der Wellen, wenn sie auf den weißen Sandstrand trafen – irgendetwas Friedliches, das beruhigend auf Nerven und Magen wirkte. Bei Maggie selbst hatte das funktioniert, damals, bei ihrer ersten Autopsie, einer Leiche mit Schusswunden von einer Schrotflinte. Die Ladung hatte dem Opfer das ganze Gesicht weggeblasen und lediglich etwas übrig gelassen, das aussah wie ein höhlenartiges Loch aus blutigem Knorpel und zerfetztem Gewebe. Als der Gerichtsmediziner seinerzeit endlich fertig war, da brandeten in ihrem Kopf tosende Brecher ans Ufer.
„Auf geht’s“, sagte Stan, wobei er Pinzette und Skalpell vom Bestecktablett nahm. „Ehe uns diese Scheißviecher an Armen und Beinen krabbeln!“
Maggie merkte, wie Julia Racine angewidert wegsah. Und genau in diesem Moment verstand sie. Sie beide hatten tatsächlich etwas gemeinsam. Es war nicht die Obduktion, vor der es Racine grauste. Es waren die Maden.
13. KAPITEL
Omaha, Nebraska
Gibson McCutty fühlte sich wie gerädert. Er hockte vor seinem Computerbildschirm und starrte auf die Uhr rechts unten in der Taskleiste. Nach der letzten Nacht brauchte er jetzt unbedingt etwas, irgendetwas, das ihn auf andere Gedanken brachte. Das Spiel sollte zwar erst in zwanzig Minuten losgehen, aber vielleicht fand sich ja schon vorher jemand im Chatroom ein.
Mitspielen konnte man nur auf Einladung. Gibson erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem er die Nachricht mit der ihm unbekannten E-Mail-Adresse bekommen hatte. Er wollte sie gerade löschen, als ihm der Nickname ins Auge fiel: „The SinEater“ – der Sündenfresser. Das klang irgendwie nach einer Figur aus dem Rollenspiel „Dungeons and Dragons“. Und er hatte nicht das Geringste dagegen, seine Sünden loszuwerden. Ob das so einfach ginge? Mitspielen und sich besser fühlen? Schön wär’s.
Er hatte die E-Mail geöffnet. Sie bestand aus einem einzigen Satz: WILLST DU MITSPIELEN?
Die Regeln waren streng und untersagten den Spielern den Austausch persönlicher Angaben. Benutzen durfte man nur seinen zugewiesenen Decknamen. Vor dem Spiel aber war es okay zu chatten, Strategien zu erörtern und über die jeweiligen Charaktere zu diskutieren, wobei zuweilen auch Informationen über die Spieler selbst einflössen, getarnt als Kommentare zu den jeweiligen Rollen.
Nicht jeder beteiligte sich an den Chats, auch ihm wurde hier viel zu viel gefaselt. Manche Teilnehmer warfen nur hier und da eine Bemerkung ein, und andere lehnten sich einfach zurück und guckten zu. Gibson fiel in die letzte Kategorie. Er lernte mehr, indem er es sich bequem machte und die Diskussionen verfolgte.
Beim ersten Mal hatte er sich wie ein Spanner gefühlt und ein schlechtes Gewissen bekommen, weil er das Geschehen nur still beobachtete. Um teilnehmen zu können, musste man sich einloggen. Das galt eigentlich auch für den Zugang zu den Chatforen, denn die Beiträge wurden per Instant Messaging im Internet hin und her geschickt, wie Onlinetelegramme. Gibson aber kriegte es irgendwie hin, dass er den Chat ohne Einloggen verfolgen konnte. Keiner der Spieler ahnte also, dass Gibson dabei war. Sie bemerkten ihn erst, wenn er sich einloggte, um an dem Spiel teilzunehmen.
Heute war es nicht anders.
Und so wartete er auf den Spielbeginn, gespannt darauf, was diesmal passieren würde. Er hatte die Vorhänge zugezogen, damit ihn die Sonne nicht blendete, und fühlte in dem Halbdunkel seines Zimmers sogar so etwas wie Geborgenheit. Allerdings nur bis er von einem Klopfen an der Tür aufgeschreckt wurde.
„Gibson? Was treibst du denn da drin? Es ist so ein herrlicher Tag draußen!“
Automatisch klappten seine Hände den Bildschirm des Laptops herunter. „Nur ‘n paar Computerspiele, Mom!“ In Ermangelung der Tastatur fummelte er sich jetzt mit den Fingern im Gesicht herum, auf der Suche nach neuen Kratern, die er aufkratzen konnte – eine Unart, die er beim besten Willen nicht in den Griff bekam.
„Willst du denn nicht lieber ins Schwimmbad? Oder vielleicht mit deinen Freunden Basketball spielen?“
Auf der Stirn, direkt unter seinem Pony, stieß er auf einen frischen Aknepickel. Er wusste, seine Mom meinte es gut. Das rechnete er ihr auch hoch an.
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