Die Rückkehr Des Bösen
übersehen, auch wenn er schlief.
„Was sagen Sie – wie viele Punkte geben Sie dem Typ auf Ihrer Durchgeknallten-Skala?“
„Auf der Durchgeknallten-Skala?“
„Kommen Sie! Sie haben doch schon so manches perverse Miststück am Arsch gekriegt!“ Dann lachte sie plötzlich auf. „Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Ich gebe mir zwar alle Mühe, mich zu bremsen, aber selbst Daddy ist der Meinung, ich hätte eine nicht so feine Gossenschnauze. Nun, was meinen Sie, gehört er eher in die Kategorie von Simon Shelby oder in die von Albert Stucky?“
Die beiden Fälle, mit denen Maggie vor einiger Zeit zu tun gehabt hatte, waren recht verschieden gewesen. Shelby hatte seine Opfer getötet, um sich ihre körperlichen Gebrechen anzueignen. Er sammelte Hirntumore in Flaschen und pfropfte todkranke Herzen in Einmachgläser, um auf diese Weise eine Krankheit zu kompensieren, an der er als Kind beinahe gestorben wäre. Shelby war selbst krank, allerdings nicht körperlich, sondern geistig. Albert Stucky hingegen war einfach nur bösartig gewesen. Zumindest konnte sich Maggie nicht anders erklären, warum ein Irrer seinen Opfern die Organe entfernte und diese dann in Fastfoodschachteln verpackt einfach irgendwo ablegte, bis jemand sie entdeckte.
Bei Serienkillern gehörte zur Täteranalyse ein bisschen mehr, als den Mörder nur zu klassifizieren, um dann wie bei einer Schachpartie seinen nächsten Zug vorauszuberechnen. Man musste vielmehr die Fähigkeit haben, sich in seine Gedankengänge hineinzuversetzen und in die finstersten Winkel seines Hirns vorzudringen.
„Es gibt da keine einfache Typologisierung“, versuchte sie schließlich Racines Frage zu beantworten.
„Okay, aber helfen Sie mir trotzdem mal auf die Sprünge. Was ist das für ein Irrer, der Frauen erwürgt und ihnen anschließend den Kopf absäbelt? Was macht der Kerl da, geilt den das auf?“
„Ich glaube, bei dem hier geht’s wahrscheinlich mehr um Aggression als um sexuelle Befriedigung.“
„Aggression also? Dann meinen Sie nicht, dass der sich die Torsos aufbewahrt hat, um sie zu pimpern?“
„Pimpern?“
„Klar, so wie diese aufblasbaren Sexpuppen. Nur eben ohne die Luft.“
Der Jargon und ihre Sicht der Dinge entlockten Maggie ein Schmunzeln. Sie musterte Racine von der Seite. Superschicke Designersonnenbrille, kesse Frisur, pinkfarbenes Markentanktop und Khakihosen von Ralph Lauren. Sie selbst konnte sich nicht entsinnen, jemals so schnieke, so jung und unbekümmert ausgesehen oder sich so gefühlt zu haben. Erst in jüngster Zeit war Maggie dazu übergegangen, sich ab und zu auch mal Designerklamotten zu gönnen, etwa das Paar Lederslipper, die Gwen ihr aufgeschwatzt hatte. Selbst ihr zweigeschossiges Tudorhaus in Newburgh Heights, unmittelbar am Stadtrand gelegen und erstanden mit dem Geld aus einem Treuhandfond ihres verstorbenen Vaters, war in einem Stil eingerichtet, den man wahrscheinlich als einen Mix aus traditionell und praktisch bezeichnet hätte.
Sie hielt sich für rational und diszipliniert, für beharrlich und zielstrebig. Ihrer Meinung nach lag das daran, dass sie zu schnell und zu früh hatte erwachsen werden müssen, dass sie so früh den Vater verloren und eine alkoholsüchtige und suizidgefährdete Mutter hatte, die ihre Hilfe und Pflege brauchte. Das war schon mit zarten zwölf Jahren ihr Leben gewesen.
Das bisschen, was sie an Unbekümmertheit noch besessen haben mochte, das war damals auf der Strecke geblieben. Sie hatte mehr als genug damit zu tun gehabt, der Mutter die betrunkenen Freier vom Halse zu halten, Geld für die Stromrechnung zu überweisen oder etwas zum Frühstück aufzutreiben, bevor sie morgens zur Schule aufbrach. Von ihrem ausgeprägten Pflicht- und Verantwortungsgefühl und ihrer reifen Art hatte sich später ihr Exmann Greg angezogen gefühlt. Pech, dass es ausgerechnet dieselben Charakterzüge waren, die ihn am Ende vergrault hatten. Seit dieser Zeit hatte vor allem das FBI davon profitiert.
Sie wusste, dass auch Racine früh ein Elternteil verloren hatte. Wieder etwas, das sie gemeinsam hatten. Auch sie konnte nicht gerade auf eine märchenhafte, sorglose Kindheit zurückblicken. Allerdings hatte sie in Luc Racine einen liebevollen Vater, der sie trösten und umsorgen konnte. Es war schon pure Ironie, dass Julia Racine sich so anstrengte, Maggie zu beeindrucken und ihr nachzueifern, wo doch im Grunde Maggie sie beneidete. Komisch, dachte sie, wie das Leben einem zuweilen unvermutet
Weitere Kostenlose Bücher