Die Rückkehr des Drachen
wie ein abgebrochener Zahn aus der hügeligen Ebene erhob, war völlig unverkennbar. Man sah ihn auf viele Meilen im Umkreis und die Menschen mieden ihn; selbst diejenigen, die nach Tar Valon unterwegs waren.
Am Drachenberg war Lews Therin Telamon gestorben, sagte man. Noch weiteres war über diesen Berg geweissagt worden: Prophezeiung und Warnung zugleich. Genug Gründe, um sich von seinen schwarzen Abhängen fernzuhalten.
Sie allerdings hatte Gründe, ihm nicht fernzubleiben; und mehr als nur einen. Nur in Tar Valon konnte sie die Ausbildung erhalten, die sie benötigte, die sie erhalten mußte. Ich lasse mir nie wieder ein Halsband anlegen! Sie verdrängte den Gedanken, aber er kehrte in genau umgekehrter Bedeutung zurück. Ich werde nie wieder meine Freiheit aufs Spiel setzen! In Tar Valon würde Anaiya wieder damit beginnen, ihre Träume zu erforschen. Das mußte die Aes Sedai tun, obwohl sich bisher kein Beweis dafür gefunden hatte, daß Egwene zu den seltenen Träumern gehörte, wie Anaiya vermutete. Egwenes Träume waren beunruhigend gewesen, seit sie die Ebene von Almoth verlassen hatte. Ganz davon abgesehen, daß sie immer noch von den Seanchan träumte und dann schweißgebadet aufwachte, träumte sie nun mehr und mehr von Rand. Rand, der weglief. Der auf irgend etwas zurannte und gleichzeitig auch vor irgend jemandem wegrannte.
Sie spähte angestrengt hinüber nach Tar Valon. Dort war Anaiya. Und vielleicht auch Galad. Unwillkürlich errötete sie und verdrängte ihn dann ganz und gar aus ihren Gedanken. Denk an das Wetter. Denk an irgend etwas. Licht, aber das ist ein warmes Gefühl. Zu dieser frühen Jahreszeit, wo der Winter noch gestern geherrscht hatte, war der Drachenberg mit einer weißen Kappe überzogen, doch hier unten war aller Schnee längst geschmolzen. Die ersten grünen Sprossen schoben sich durch das Braun des verfilzten Grases aus dem letzten Jahr, und wo hier und da ein Hügel von einem Baum gekrönt wurde, sah man auch bereits das Rot neuer Schößlinge. Es tat gut, diese Anzeichen des Vorfrühlings zu sehen. Den Winter hatten sie mehr oder weniger auf den Pferden verbracht, waren manchmal im Lager oder in einem Dorf durch Schneestürme tagelang eingeschlossen gewesen. Dann wieder waren sie kaum vorwärtsgekommen, weil die Pferde sich bis zum Bauch durch Schneewehen kämpfen mußten. Bei gutem Wetter wären sie zu Fuß an einem halben Tag weiter gekommen als unter diesen Umständen an einem ganzen.
Egwene schob ihren dicken Wollumhang beiseite und ließ sich wieder in den hochgezogenen Sattel zurückfallen.
Ungeduldig strich sie ihren Rock glatt. Ihre dunklen Augen blickten angeekelt drein. Sie hatte dieses Kleid schon viel zu lange getragen. Es war geschlitzt - sie hatte es selbst abgenäht -, damit sie besser reiten konnte. Das einzige andere Kleid in ihrem Besitz war allerdings noch abgetragener. Und dann auch noch die gleiche Farbe, das gleiche Dunkelgrau, wie die Gefesselten es trugen. Doch sie hatte vor Wochen, bei ihrem Aufbruch nach Tar Valon, keine andere Wahl gehabt als eben dieses Dunkelgrau.
»Ich schwöre, ich werde niemals mehr Grau tragen, Bela«, erklärte sie ihrer zerzausten Stute, wobei sie deren Hals tätschelte. Nicht, daß ich eine Wahl hätte, sobald ich einmal in der Weißen Burg bin, dachte sie. In der Burg trugen alle Novizinnen Weiß.
»Führst du wieder Selbstgespräche?« fragte Nynaeve. Ihr brauner Wallach schob sich näher heran. Die beiden Frauen waren gleich groß und gleich angezogen, doch die unterschiedlichen Pferde ließen die frühere Seherin von Emondsfeld einen Kopf größer erscheinen. Nynaeve zog nun die Augenbrauen hoch und zupfte an dem dicken Zopf dunklen Haares, der ihr über die Schulter hing. So blickte sie immer drein, wenn sie besorgt war oder manchmal, wenn sie selbst für ihre Verhältnisse besonders stur sein wollte. Ein Schlangenring am Finger zeigte, daß sie zu den Auserwählten zählte. Sie war Egwene einen langen Schritt voraus, aber trotzdem noch keine volle Aes Sedai. »Du solltest besser aufpassen.«
Egwene hielt den Mund, obwohl sie eigentlich erwidern wollte, daß sie nach Tar Valon Ausschau gehalten habe. Hat sie geglaubt, ich stehe in den Steigbügeln, weil mir mein Sattel nicht gefällt? Nynaeve schien viel zu oft zu vergessen, daß sie nicht mehr die Seherin von Emondsfeld war und Egwene kein Kind mehr. Aber sie trägt den Ring und ich - noch! - keinen. Für sie bedeutet das: Es hat sich gar nichts
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