Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
erinnern könnte, wenn sie nur …
Mit wachsender Panik schob sie die oberen Kleidungsschichten beiseite. Dann fühlte sie es. Sie hielt sich das Hemd ans Gesicht und atmete seinen Geruch ein. Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Es roch nur nach Holz. Nach nichts anderem. Sie zog ein weiteres Hemd aus der Truhe und noch eines. Aber Larsons Geruch war verschwunden.
Kathryn schlüpfte völlig angekleidet ins Bett. Sie nahm die Spieluhr aus ihrer Tasche, drehte den Schlüssel und hob den Deckel hoch. Als die Weihnachtsmelodie erklang, tauchten verschiedene Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Ihre Blockhütte zu den verschiedenen Jahreszeiten, die hohe Blautanne, die vor dem Küchenfenster stand. Sie sah Larson, wie er zurückkam, nachdem er im Fluss gebadet hatte, seine feuchten Haare, die bis zu seinen Schultern reichten, die Wassertropfen auf seiner muskulösen Brust. Sie sah das Lächeln ihrer Mutter und konnte sich fast an ihr Lachen erinnern. Fast …
Die Bilder verblassten, und ein anderes Gesicht tauchte auf. Ein Gesicht mit einem schüchternen, schiefen Lächeln, das eine unbeschreibliche Zärtlichkeit ausstrahlte. Sie schloss die Augen und konnte fast fühlen, wie ihre Hand von seiner glatten, vernarbten Hand berührt wurde.
Das Land hatte sie jetzt verloren, aber sonderbarerweise war es nicht das, was sie am meisten verletzte. Ihr Schmerz ging viel tiefer. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als würde sie Larson wieder ganz verlieren. Die Spieluhr verstummte neben ihr auf dem Bett. Ihre letzten Töne klangen, passend zu ihrer Stimmung, einsam und hohl in der Stille. Kathryn drehte sich auf die Seite, zog ein Kissen an ihre Brust und sehnte sich müde nach Schlaf und nach Ausflucht, die er bot.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus dem Tiefschlaf. Sie blinzelte, um einen klaren Kopf zu bekommen, und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Sonnenlicht fiel durch das Schlafzimmerfenster. Es musste schon Morgen sein, aber sie fühlte sich, als wäre sie erst vor wenigen Minuten eingeschlafen. Sie schob sich vom Bett hoch und ging zur Tür.
Es klopfte wieder. „Kathryn, ist mit dir alles in Ordnung?“
Jacob. Seine Stimme löste in ihr eine starke Erleichterung aus. Kathryn zog den eingeklemmten Stuhl von der Tür weg und öffnete sie. Vor ihr standen Jacob und Miss Maudie. Miss Maudies Gesicht sah sehr besorgt aus. Jacob schaute sie bekümmert von Kopf bis Fuß an.
„Ist alles in Ordnung?“, wiederholte er. Die Sanftheit in seiner Stimme machte Kathryn Hoffnung, dass ihre Freundschaft vielleicht doch nicht irreparabel zerstört war. „Miss Maudie hat mich geholt, als du heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen bist.“
„Mir geht es gut, Jacob. Miss Maudie“, fügte sie mit einem Kopfnicken hinzu. Wenn Miss Maudie nicht da gewesen wäre, wäre Kathryn versucht gewesen, sich ohne zu zögern in Jacobs Arme zu lehnen.
Miss Maudie hielt ihr einen Umschlag hin. „Das ist gerade für Sie gekommen, meine Liebe. Der Bote sagte, es sei dringend.“
Kathryn nahm den Brief. Willow Springs Bank stand auf dem Stempel. Sie riss den Brief auf und ahnte bereits, was darin stand. Wie sie erwartet hatte, forderte Mr Kohlman sie auf, zu ihm zu kommen. Dringend stand in dem Brief. Wie dringend konnte es jetzt noch sein, da sie ihr Land bereits verloren hatte? Nichts kann mich aus deiner Hand reißen, Vater, rief sie sich ins Gedächtnis. Darauf vertraue ich.
Jacob trat näher. „Was steht in dem Brief?“
„Es ist eine Aufforderung von Mr Kohlman, heute Morgen so früh wie möglich zu ihm zur Bank zu kommen.“
„Ich hole einen Wagen aus dem Stall und bringe dich hin.“
Während Jacob wegeilte, legte Miss Maudie ihr eine Hand auf den Arm. „Kathryn, meine Liebe, vielleicht sollten Sie das auf später verschieben und sich und Ihrem Baby zuerst ein wenig Ruhe gönnen.“
Kathryn fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Das war ein verlockender Gedanke, aber Kohlmans Aufforderung klang dringend. Außerdem hatten die Schmerzen, die sie gestern gehabt hatte, aufgehört, und wenn das Baby kam, während sie in der Stadt war, wäre Dr. Hadley da und könnte ihr helfen. Kathryn schaute Miss Maudie ins Gesicht und erkannte, dass MacGregor ihr noch nicht verraten hatte, dass er Kathryn von Casaroja wegschickte. Kathryn überlegte, ob sie die liebenswürdige ältere Dame in die Sache hineinziehen sollte, aber was könnte Miss Maudie tun? Außerdem würde das nur ihr Verhältnis zueinander belasten, und Miss Maudie war
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