Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
wieder. „Gabe, ich kann jetzt selbst gehen.“
Aber er schüttelte den Kopf und drückte sie fester an sich. Seine Umarmung war wie die eines Vaters, der seine Tochter auf den Armen trägt, und sie gab Kathryn ein Gefühl von Sicherheit, das sie sehr lange nicht gespürt hatte.
„Sie brauchen Ruhe“, flüsterte er, während er geradeaus schaute. „Sie vermissen Ihren Mann, Sie haben das Haus verlassen, in dem Sie zehn Jahre gelebt haben, und Sie haben alle Ihre Sachen dem Laden gegeben.“
„Ich verkaufe die Sachen“, verbesserte sie ihn.
„Trotzdem. Das alles gehört Ihnen jetzt nicht mehr.“
Ihre Kehle schnürte sich bei seiner unverblümten Beobachtung zusammen, und eine Welle der Müdigkeit überrollte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal so müde gewesen zu sein. Da sie wusste, dass es Gabe nicht stören würde, und dass er ihre Absichten auch nicht falsch verstehen würde, schloss sie die Augen und legte den Kopf auf seine Schulter.
Kathryn nahm nur vage wahr, dass sie einige Zeit später in ein weiches Bett gelegt wurde. Benommen wachte sie auf. „Gabe?“
„Ja, Madam“, antwortete er leise und deckte sie zu. Im Schatten des dunklen Raums sah seine massive Statur überdimensional groß aus. Er stand neben dem Bett und sah wie ein Wächter auf sie hinab. Die Umrisse seiner Schultern waren breit und beherrschend, und seine Haltung verbot allem Bösen, sie anzurühren. Sein Körper sah plötzlich aus, als wäre er aus Marmor gemeißelt.
Kathryn streckte ihm die Hand entgegen, und er ergriff sie. „Danke, dass du das für mich tust.“
Er antwortete nicht, aber sie spürte sein Lächeln in der Dunkelheit.
Sie schloss die Augen, da sie sie nicht länger offen halten konnte. Nach einem Moment drehte sie sich wieder um, um Gabe noch einmal zu danken. Obwohl sie nicht gehört hatte, dass die Zimmertür sich geöffnet und geschlossen hatte, war er nicht mehr da. Sie musste eingeschlafen sein, und er war anscheinend gegangen, ohne dass sie ihn gehört hatte. Kathryn rollte sich auf eine Seite des Bettes und schlief weiter.
Irgendwann in der Nacht weckten sie flüsternde Stimmen. Sie drangen durch die dünnen Wände um sie herum zu ihr, aber sie konnte die Gespräche nicht verstehen. Schritte, das Knarren von Holz, gedämpftes Lachen. Der starke Geruch nach Parfüm und etwas anderem, das sie nicht genau benennen konnte, erfüllte die Luft. Aber sie achtete nicht darauf und schlief wieder ein.
Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, fiel ein dünner Sonnenstrahl durch ein Fenster, das hoch über ihr in der Wand angebracht war. Sie gähnte und drehte sich auf den Rücken. Sie stellte sich wie jeden Morgen beim Aufwachen Larsons Gesicht vor, breitete die Hände über den heimlichen Segen, der bald für alle Welt sichtbar wäre, und flüsterte das gleiche Gebet wie jeden Tag: Herr, bring ihn zu mir zurück … bring ihn zu uns zurück.
Sie blinzelte und versuchte, sich zu orientieren. Ein Pferd wieherte in der Ferne, dann folgte Stille. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und sah sich um. Das Zimmer war kleiner, als sie am Abend gedacht hatte, ungefähr ein Drittel der Größe ihres Schlafzimmers in der Blockhütte. Im Grunde bestand es hauptsächlich aus einem Bett. Ein kleiner Tisch stand in der Ecke.
Ein Klopfen an der Tür weckte sie ganz auf. Die Tür öffnete sich, bevor Kathryn antworten konnte. Das Erste, was Kathryn an der Frau auffiel, waren ihre roten Haare. Ein solches Rot hatte Kathryn noch nie zuvor gesehen.
„Ich heiße Annabelle.“ Die Frau setzte sich aufs Bett. Um ihre Augen lagen die verschmierten Reste von Wimperntusche. Ihre Lippen wiesen Spuren eines leuchtend roten Lippenstifts auf, der längst verwischt war, und ihr Kleid hatte einen überraschend tiefen Ausschnitt. Der Stoff überließ nicht viel der Fantasie.
Kathryn roch den leichten Duft von Nelken und sah, dass die Frau auf etwas kaute.
Annabelle verschränkte trotz des dünnen Kleides ihre Beine wie ein Indianer. „Gabe sagte, Sie bräuchten einen Platz zum Schlafen, und Marcy war gestern Nacht weg. Deshalb haben Sie ihr Zimmer bekommen. Aber in den Nächten, in denen wir alle hier sind, müssen Sie im Zimmer hinter der Küche schlafen. Dort gibt es ein Bett. Es ist neben dem Herd. Sie haben es also warm genug, bis Sie etwas anderes finden.“
Kathryn schob sich in eine sitzende Haltung hoch. „Danke, dass ich in Ihrem Haus wohnen darf, Annabelle. Ich heiße Kathryn
Weitere Kostenlose Bücher