Die Rückkehr des Fremden (German Edition)
Jennings.“
Annabelle starrte sie eine Sekunde an. „Klar.“ Ihr Lächeln wirkte irgendwie verschmitzt. „Kein Problem.“
„Wir kamen gestern Abend so spät, und ich will auf keinen Fall, dass Sie denken, ich …“ Kathryn brach ab. Dann lächelte sie. „Was ich sagen will: Ich werde Ihre Großzügigkeit nicht lange in Anspruch nehmen. Ich habe vor, mir heute eine Arbeit zu suchen.“
Annabelle zuckte die Achseln. Ihre Augen wanderten über Kathryns Gesicht und bewegten sich dann am Rest ihres Körpers hinab. Sie schnaubte. „Passen Sie auf, dass Betsy nicht versucht, Sie zu überreden, hier zu arbeiten.“ Dann lachte sie, als hätte sie einen Witz gemacht. „Den anderen Mädchen würde das nicht gefallen. So viel steht fest.“
Kathryn lächelte mit ihr und fragte sich, wer diese interessante Frau war. Sie schätzte, dass sie ungefähr im gleichen Alter waren, obwohl Annabelle kleiner und zierlicher gebaut war als sie. Ihre dunkelbraunen Haarwurzeln verrieten ihre echte Haarfarbe, und Kathryn versuchte, sie sich ohne diese ganze Aufmachung vorzustellen. Der Blick aus Annabelles blauen Augen war direkt, und ihr leicht vorgeschobenes Kinn verriet einen eigensinnigen Willen.
Aber eines war sicher: Annabelle besaß ein gutes Herz. Sie hatte Kathryn die Nacht hier verbringen lassen, und dafür war Kathryn dankbar. Ihr Magen knurrte.
„Haben Sie Hunger?“, fragte Annabelle unnötigerweise und klopfte auf das Bett. „Kommen Sie. Gehen wir in die Küche, bevor das ganze gute Essen weg ist. Die Mädchen hier haben einen kräftigen Appetit.“
Kathryn stand auf und strich die Decke und dann ihr faltiges Kleid glatt. Sie folgte Annabelle durch den schmalen Gang und kam an mehreren Türen vorbei. Zwei der Türen standen offen. Sie stellte schnell fest, dass alle Zimmer ungefähr die gleiche Größe hatten wie ihres und genauso spärlich möbliert waren.
Sie war etwas beschämt, den anderen Frauen in der Pension in ihrem zerzausten Zustand zu begegnen, aber Annabelle hatte damit kein Problem. Hoffentlich waren die anderen Frauen genauso freundlich.
Ein lautes Durcheinander von Frauenstimmen begrüßte sie auf dem Gang und vermischte sich bald mit dem köstlichen Duft von Eiern, Speck und Kaffee. Wie lang war sie nicht mehr in der Gesellschaft einer Frau gewesen? Geschweige denn einer ganzen Gruppe von Frauen? Bilder von Quilttreffen und Backtagen für Gemeindeveranstaltungen schossen ihr durch den Kopf. Sie hatte Gott um eine andere Frau gebeten, mit der sie die Freude über ihren Zustand teilen könnte, und lächelte, wie schnell Gott ihr diese Bitte erfüllt hatte.
Annabelle schob eine Schwingtür auf. Dann drehte sie sich mit einem Zwinkern zu ihr um. „Betsy lässt uns schwer arbeiten, aber sie gibt uns auch reichlich zu essen, das muss man ihr lassen.“
Kathryn folgte Annabelle und setzte sich neben sie ans Ende des langen Holztisches, um den herum viele Frauen saßen. Die Gespräche verstummten schlagartig. Kathryn blickte auf und betrachtete die Gesichter, die jetzt in ihre Richtung schauten.
Sie zählte schnell elf Frauen. Dazu kamen sie selbst, Annabelle und eine rundliche Frau, die am Herd arbeitete. Die Augen, die sie durchbohrten, gehörten Frauen jeden Alters, jeder Größe und jeder Figur. Die meisten waren jünger als sie, aber zwei sahen älter aus. Viel älter.
Etwas schien die seltsame Gruppe zu verbinden, aber Kathryn konnte nicht genau benennen, was es war. Bis …
Die Freude in ihr erlosch. Ihr Lächeln verschwand.
„Mädchen, das ist Kathryn“, verkündete Annabelle und bewegte in einer majestätischen Geste die Hand. „Sie hat gestern Nacht einen Platz zum Schlafen gebraucht und hat deshalb in Marcys Zimmer übernachtet. Sie bleibt ein paar Tage bei uns, bis sie Arbeit findet.“
Die verblüfften Gesichter verfinsterten sich mit einem Mal. Alle bis auf eines.
Ein kleines, dunkelhaariges Mädchen am Ende des Tisches nickte fast unmerklich. Ihre zimtfarbenen, mandelförmigen Augen blickten kurz zu Kathryn hinüber. Dann wieder weg. Und wieder hinüber. Ein hübsches Lächeln spielte um ihren winzigen Mund.
„Mein Zimmer bekommt sie nicht!“, verkündete eine kräftige Blondine mit Nachdruck.
Die schon etwas ältere Brünette neben ihr schlug mit der Faust auf den Tisch. „Meines auch nicht. Und es gefällt mir nicht, dass Betsy jemanden einstellt, ohne vorher mit uns zu sprechen!“
Hitze und Scham schoss durch Kathryns Körper. Sie unterdrückte den Drang,
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