Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
sicher!
Aber was hat das alles zu bedeuten? fragte ich mich und ließ meine Blicke über die üppig grüne Wiese schweifen, die in mildem Sonnenlicht dalag und über die ein kühler Wind strich. Das wirkte alles wie ein idyllischer Wald im sinnenfreudigen alten England. »Seltsam …« Ich ertappte mich dabei, wie ich laut vor mich hinsprach. »Warum ist mir ausgerechnet das Wort ›sinnenfreudig‹ eingefallen?«
Dann spürte ich immer intensiver, wie sich mein Körper mit Energie auflud – mehr Energie, als ich in den letzten Jahren zusammen in mir gespürt hatte. Ich fühlte mich so lebendig und wach! Ich mußte mich bewegen, um diese Energie abzureagieren. Ich rannte durch den Wald und hatte das Gefühl, kilometerweit so weiterlaufen zu können. Ich machte Luftsprünge und Handstandüberschläge und rannte und rannte.
Schließlich ruhte ich mich im warmen Sonnenschein aus. Irgendwie herrschte hier eine seltsame Jahreszeit. Liebe lag in der Luft, wie man so sagt, wenn jeder nur darauf wartet, eine Liebschaft anzuzetteln.
Die Energie konzentrierte sich nun zu einem wohlbekannten, beunruhigenden Druck in meinen Lenden. Mama Chia hatte gesagt, im zweiten Stockwerk gehe es um Energie in Beziehung zu anderen Menschen. Das bedeutete kreative Energie, sexuelle Energie. Aber was sollte ich mit dieser Energie anfangen?
Da hörte ich in mir plötzlich aus dem Nichts heraus einen Ausspruch, den Socrates vor Jahren einmal getan hatte. »Jede menschliche Fähigkeit wird durch die Energie gesteigert«, hatte er gesagt. »Der Verstand wird geschärft, Heilungsprozesse werden beschleunigt, man wird körperlich stärker, das Vorstellungsvermögen wird intensiver, die Gefühlskraft nimmt zu, und man erhält Charisma und Ausstrahlung. Die Energie kann also ein Segen sein …«
Ja, sagte ich mir. All das spürte ich deutlich.
»Aber die Lebensenergie muß irgendwo hinfließen können«, fuhr seine Stimme fort. »Dort, wo sie in unserem Inneren auf Hindernisse stößt, beginnt sie zu brennen; und wenn sich irgendwo mehr Energie aufstaut, als unser Körper oder unser Geist ertragen können, dann explodiert sie. Dann wird Zorn zur Raserei, Kummer zur Verzweiflung, Besorgnis zur Besessenheit, körperliche Schmerzen werden zur unerträglichen Qual. Energie kann also auch ein Fluch sein. Ähnlich wie ein Fluß kann sie Leben bringen; aber wenn man sie nicht unter Kontrolle bringt, kann sie auch eine rasende Flut der Zerstörung entfesseln.«
»Und was soll ich jetzt tun?« fragte ich ins Leere hinein.
Erinnerungen an Weisheiten von Socrates hallten in meinem Gedächtnis wider: »Der Körper tut, was er muß, um überschüssige Energie wieder loszuwerden. Wenn du diese Energie nicht bewußt einsetzt – durch Kreativität, körperliche Aktivitäten oder sexuelle Beziehungen –, dann findet dein Unbewußtes ein Ventil dafür: in Wutausbrüchen oder plötzlicher Grausamkeit, in Alpträumen, Verbrechen, Krankheiten, Mißbrauch von Alkohol, Nikotin und anderen Drogen, in übermäßigem Essen oder Sex. Ungezügelte Energie, die auf Hindernisse in unserem Inneren stößt, ist der Ursprung aller Süchte. Versuche nicht, die Sucht zu besiegen – beseitige lieber die Hindernisse!«
Der Druck in meinem Körper, der allmählich immer stärker wurde, lenkte mich so sehr ab, daß ich mich kaum noch auf Socrates’ Worte konzentrieren konnte. Die Energie staute sich immer mehr an, verlangte nach einem Ventil. Was sollte ich tun? Ich konnte einfach immer so weiterrennen, oder ich mußte irgend etwas schaffen – ja, etwas Kreatives. Das ist es! beschloß ich. Ich werde ein Lied komponieren. Aber mir fielen nur zwei Zeilen ein: »In Killervy lebte eine Frau – mit phantastischem Unterbau. Ein Mann fand sie da – in ihrem Spitzen-BH, und …« Das verdammte Ende zu diesem Lied fiel mir nicht ein; mir fiel überhaupt nichts mehr ein. Ich wollte nur noch eins: eine Frau. Irgendeine Frau!
Sollte ich mir selbst Erleichterung verschaffen? Das wäre nicht schwierig – eine einfache und wirksame Lösung. Doch dann fiel mir ein, daß es in diesem Stockwerk ja darauf ankam, Energie zum Leben zu erwecken, zu einer Beziehung. Verflixt! Wie sollte ich das anstellen?
Im nächsten Augenblick fand ich mich in einer Höhle wieder – aber es war keine düstere, drohende Höhle, sondern wirkte eher wie ein luxuriöses Schlafgemach. Auf dem Boden lagen dicke Teppiche übereinander. Durch eine Öffnung an der Decke drangen Sonnenstrahlen
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