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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Schlangenlinien fahren mussten. Dann fiel mir auf, dass der Fahrer manchmal auf gerader Strecke langsamer wurde, fast anhielt und wartete, ehe er wieder Gas gab. Ich setzte mich auf, um besser sehen zu können. Zweihundert Meter vor uns war ein anderer Wagen. Er näherte sich einer Kurve und drosselte das Tempo. Unser Wagen wurde langsamer. Dann gingen vor uns einmal die Warnblinker an, das Auto verschwand hinter der Kurve, und unser Wagen nahm wieder Fahrt auf.
    – Der Wagen da vorn – ist das ein Kundschafter? fragte ich.
    – Stimmt haargenau, sagte der Mann neben mir. – Bullenalarm.
    – Hab ich mir gedacht.
    – Hast du dich angeschnallt, Henry?
    – Nein.
    – Komm, sei vernünftig. Wir brauchen dich noch ’ne lütte Weile.
    Er fletschte die Zähne zu einem Lächeln, aber nur ganz kurz.
    – Ich sag dir jetzt mal, warum wir unterwegs sind.
    Die Fahrt und die plötzliche Wärme machten mich fertig, ich kämpfte mit dem Schlaf. Er kurbelte das Fenster auf seiner Seite runter, lehnte sich zu mir rüber, machte es mit meinem Fenster genauso und richtete sich wieder auf.
    Die Luft tat gut. Ich war wieder wach und bei der Sache. Wir kamen an Misthaufen vorbei und einer Gruppe von Kühen, dann an Hecken, die so wild verwuchert waren, dass man nicht drüberwegsehen konnte. Weiche Zweige streichelten meine Seite des Wagens.
    – Also die Hungerstreiks ... sagte er.
    Einer der radikalen Streikenden, Bobby Sands, hatte seit dem 1. März um Mitternacht das Essen verweigert, das wusste ich inzwischen, und andere hatten sich nacheinander angeschlossen. Bisher hatte es noch keinen das Leben gekostet, aber das Land wartete.
Sie werden mich nicht brechen, denn die Sehnsucht nach Freiheit und die Freiheit des irischen Volkes sind in meinem Herzen.
Ein Abgeordneter aus dem Norden, Frank Maguire, war gestorben, und es hieß, sie wollten Sands in der Nachwahl aufstellen. Nach zwei Tagen Zeitungslektüre wusste ich, was los war.
    – Schlimme Sache, sagte er.
    – Yeah.
    – Wie zu deiner Zeit, was, Henry?
    – Ich hab nie aufs Essen verzichtet, sagte ich. – Jedenfalls nicht freiwillig.
    Ich würde seinen Kopf anpeilen und draufschlagen, bis alle seine Zweifel an mir ausgeräumt waren.
    – Ich hab schon immer gewusst, was Hunger ist. Und zwar nicht durch so einen beschissenen Streik. Nur die Mittelschicht konnte sich den Hungertod als eine Form des Protests einfallen lassen.
    Es funktionierte. Die breiten Zähne knirschten. Aber nicht aus Wut. Er machte einen riesigen Rückzieher. Es galt, diesen alten Trottel an seiner Seite in dem silberfarbenen Toyota neu zu bewerten, denn der war plötzlich interessant geworden.
    – Ich widerspreche deiner Analyse. Und zwar grundlegend. Aber ...
    Er stockte nicht direkt, aber er senkte die Stimme.
    – ... sie lassen sich nicht davon abbringen. Bobby und die anderen.
    Er seufzte – kein theatralischer Seufzer.
    – Wir müssen sehen, wie wir damit klarkommen.
    Ein kleines, fast schüchternes Lächeln.
    – Es ist nicht der Weg, den ich mir gewünscht hätte, sagte er. – Mit deiner gesellschaftlichen Analyse liegst du total schief. Aber du kommst eben aus einer anderen Zeit. Das mit dem Verzicht auf Essen – da bin ich bei dir.
    Ich hatte meine Information, mein Tag war gerettet.
    – Was läuft in Bodenstown? fragte ich.
    – Das Übliche. Und das Unübliche. Wir ehren unsere republikanischen Toten. Und dann schmuggeln wir noch was ein. Für morgen.
    – Was denn?
    – Dich, Henry.
    Ich saß vor einem Fenster. Draußen war heißer Nachmittag, ich spürte ihn, ohne ihn zu sehen. Die Fensterscheibe war kürzlich komplett schwarz gestrichen worden, ohne Schrammen oder Kratzer, von dem Tag davor war nichts zu sehen.
    Sie hatten mir gesagt, dass ich mich mit dem Gesicht zu dem geschwärzten Fenster setzen sollte. Hinter mir waren zwei Mann, wahrscheinlich mehr, war leises Kommen und Gehen ... Die Tür links hinter mir war auf- und wieder zugegangen. Eine andere Tür, ein Stück weit entfernt, klappte gerade zu.
    Höflich, aber bestimmt hatten sie mich zu dem Stuhl gebracht, der vor dem schwarzen Fenster bereitstand. Ich suchte im Dämmerlicht nach Stricken oder Riemen. Kräftige Hände befahlen mir, mich zu setzen. Ich gehorchte, wurde aber nicht gefesselt. Niemand sagte
Nicht umdrehen
. Das war auch nicht nötig.
    Ich wartete darauf, dass es losging.
    Dann eine Stimme. Ich kannte sie nicht. Aus dem Norden. Wie weit nördlich oder westlich oder geradeaus konnte ich nicht sagen. Zu meiner

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