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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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stand auf der ersten Seite. Männer hungerten sich zu Tode für das Recht, ihre eigene Kleidung zu tragen, und das Recht, keine Gefängnisarbeit zu machen – das war in Ordnung, fand ich; für das Recht, frei mit anderen Gefangenen zu verkehren – auch okay; das Recht auf unumschränkten Straferlass. Ich war in Irland nie zu einer Haftstrafe verurteilt worden, sie hatten mich einfach eingesperrt, bis ich abgehauen war. Und neunzig Tage Zuchthaus in Amerika waren hart gewesen und hatten neunzig Tage gedauert. Die letzte Forderung war das Recht auf Besuche, Päckchen, Bildungs- und Freizeitangebote. Auch die Namen der Hungernden standen da. Sie waren sehr schlecht drauf, das Land hatte schon mit dem Countdown begonnen. Bobby Sands. Francis Hughes. Raymond McCreesh. Patsy O’Hara. Es gab eine Nachricht von Francis Hughes, auf Seidenpapier geschrieben und unter der Zunge einer Frau rausgeschmuggelt.
Ich habe
nichts gegen das Sterben,
solange es nicht vergeblich ist oder aus Dummheit geschieht
. Die Namen kamen mir vage bekannt vor, von Sands hatte ich gehört – und von der Sache mit dem Streik auch. Die Meldungen waren übers Radio in meine Küche gekommen.
    Ich hatte nicht richtig hingehört.
    Ich saß an ihrem Bett. Das Auge war offen. Ich hielt täglich ihre Hand – vielleicht merkte sie irgendwann ja doch, dass ich da war. Ich hielt sie nur ein paar Minuten und versuchte eine Fingerbewegung zu spüren, einen Druck auf die Wärme meiner Handfläche mit all ihren Narben und Schwielen, ein bisschen mehr als nur den Puls, den ich schwach an ihrem Handgelenk spürte und an ihrem Hals, wenn ich mich über sie beugte.
    Wir waren allein. Ich war bei Ivan gewesen. Zum Schnarchen war noch Leben genug in ihm. Sie schnarchte nicht, sie schlief nicht. Aber das Herz schlug. Wer von den beiden würde wohl zuerst kapitulieren, oder war das ein Wettkampf, in dem Cousin und Cousine entschlossen waren, nicht als erste klein beizugeben? Ich sah Miss O’Shea an, aber von Entschlossenheit konnte bei ihr keine Rede sein.
    Die Schwester, die hübsche kleine Dralle, erzählte mir, Ivan sei seit gestern nicht aufgewacht und habe seit drei Tagen nicht mehr gegessen.
    – Und was bedeutet das? fragte ich.
    – Nur das, was ich sage.
    – Dass er’s nicht mehr lange macht?
    – Ach Gottchen, Mr. Smart, kommen wir nicht früher oder später alle dahin?
    Im Zimmer war es dunkler geworden. An der Tür stand ein Mann, sein Blick ging an der Schwester vorbei, er sah sie gar nicht.
    Ich wusste, dass ich es zu Recht mit der Angst bekam.
    Das war zwei Tage, nachdem mir die Männer von der G-Division eröffnet hatten, dass ich ihr Spitzel war. Jetzt fing meine neue Karriere an.
    Die Schwester kannte die Zusammenhänge nicht, aber er war praktisch seit ihrem vierzehnten Lebensjahr der erste Mann, der nicht Stielaugen machte, als er sie sah. Sie wusste, dass er gefährlich war, aber sie wusste nicht warum. Kann sein, dass sie die Ideologie nicht erkannte – im Gegensatz zu mir. Ich hatte mit Männern in Gräben gelegen, die im Schlaf nach einem freien Irland riefen. Sie wollte gehen. Der gesunde Menschenverstand drängte sie dazu, aber ihr Beruf verbot ihr die Flucht.
    Er betrat das Zimmer. Er schien allein zu sein, aber das stimmte natürlich nicht.
    – Raus, sagte er.
    – Sprechen Sie mit mir? fragte sie.
    Seine Jacke knarzte. Er machte noch einen Schritt.
    – Geht in Ordnung, sagte ich zu ihr. – Er will zu mir. Es dauert nur eine Minute.
    – Kennen Sie diesen Mann? fragte sie.
    – Ja, log ich. – Ist schon gut.
    – Bestimmt?
    Ich war schon draußen auf dem Gang. Er hatte meinen Ellbogen gepackt und zerrte mich die Treppe runter. So schnell war ich seit Jahren nicht mehr gelaufen. Es tat weh. Aber das machte nichts. Ich freute mich sogar ein bisschen – genau genommen sehr viel mehr als ein bisschen. Wir tappten in die Fallen, die wir uns gegenseitig stellten – aber ich war derjenige, der den Durchblick hatte.
    Wir waren in der Halle, nah an der Eingangstür, mit den Greisen und Greisinnen mit Rollator, und dem Geruch nach Suppe und Pisse.
    Wieder ein Auto, wieder der Rücksitz. Aber kein Kopfkissenbezug. Mein Begleiter stieß mich hinein und knallte die Tür zu. Dann setzte er sich ans Steuer.
    Neben mir saß ein alter Bekannter.
    – A chara
, sagte er. – Wie geht’s?
    – Bestens, sagte ich. –
Go maith.
    – Gut.
    In den letzten zwei Tagen hatte ich so viel gelesen, dass ich wusste: Sie würden mich nicht erschießen. Nicht

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