Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
Vom Netzwerk:
Zeit hätte ich jeden Tonfall einer Stadt und einer Straße zuordnen können, ich bereute jetzt, dass ich so stur gewesen war. Der Norden war bei mir nie vorgekommen, der Norden und die Fremden dort oben hatten mich immer einen Scheißdreck interessiert. Das waren Ausländer gewesen, und sie waren es noch.
    Die Stimme. Ein Raucher um die vierzig, der ein gutes Stück verlorenes Leben mitschleppte. Er sprach stellvertretend für die anderen – es waren mehrere, und der Sprecher kannte sie nicht besonders gut.
    – Also, Henry. Sei willkommen. Das ist das übliche Vorgehen, kein Grund zur Beunruhigung. Du hast nichts zu befürchten.
    – Das ist nicht Bodenstown, sagte ich.
    Keine Reaktion. Kein Fuß bewegte sich, keine Socke wurde hochgezogen. Ich war in einem Raum voll erfahrener Verhörspezialisten.
    – Name?
    – Henry Smart.
    – Alter?
    – Neunundsiebzig.
    – Adresse?
    – Dublin.
    – Genauer.
    – Ratheen.
    – Was bist du von Beruf?
    – Ich bin im Ruhestand.
    – Was hast du gemacht vor dem Ruhestand?
    – Ich war Hausmeister in der staatlichen Schule. Der Jungenschule.
    – Du bist nicht mehr der Jüngste, Henry.
    – Ich weiß.
    – Warum willst du zur IRA?
    – Ich will nicht zur IRA.
    – Das ist nicht ...
    – Ich war nie draußen.
    – Was?
    – Ich bin seit 1917 in der IRA, sagte ich. – Bin nie ausgetreten, hab nie gekündigt oder so. Und davor war ich in der Citizen Army. Ehe es die IRA gab.
    Die Männer hinter mir kannten sich mit ihrer Geschichte aus. Sie wussten, was die Citizen Army war, sie kannten James Connolly. Sie hatten ihn gelesen und verehrten ihn. Er hing neben Che Guevara bei ihnen an der Wand. Jetzt guckten sie auf meinen Hinterkopf und sagten sich:
Der hat Connolly gekannt
.
    Ich hatte alles im Griff.
    Er brüllte mir direkt ins Ohr, es war ein riesiger Schreck.
    – Warum!
    Ich hatte nichts gemerkt, niemand hatte sich von hinten angeschlichen, aber er war da, ich spürte seinen Atem, während sich die gebrüllte Frage noch immer in meinen Kopf bohrte. Er fasste mich nicht an, aber unter seinem Gewicht konnte ich mich nicht rühren.
    – Warum?
    Ich konnte nichts sagen. Ich war weggetreten.
    – Warum hast du mit den Bullen geredet?
    Ich konnte nichts sagen. Ich hätte alles preisgegeben. Ich würgte.
    – Antworte jetzt.
    Langsam konnte ich wieder denken.
    – Worüber habt ihr gesprochen?
    Das war keine Vernehmung, es war ein Test. Nichts sagen, Maul halten. Das war die Regel, an der dürfte sich seit meiner Zeit nichts geändert haben.
    – Antworte!
    Sag nichts, hör nicht hin. Auch diese Frage war gebrüllt, aber sie war kein Schock mehr. Der eigentliche Schock war die Tatsache, dass ich immer noch saß, dass keiner mich über den Boden schleifte. Sie hatten mich nicht angerührt, und das war ihre Art von Folter.
    Ich rang nach Luft.
    Sie wussten, dass die G-Men bei mir gewesen waren, aber da konnte ich mich rausreden. Oder sie wussten, dass ich nie der Abgeordnete Henry Smart gewesen war, und versuchten, mein Alter und meine Vergangenheit zu vergessen, damit sie mich umbringen konnten. Sehr einleuchtend war das nicht – da hätten sie mich längst erschossen oder aber in Ruhe gelassen. Es war ein Test. Sie hatten etwas mit mir vor und wollten rauskriegen, ob ich dem gewachsen war. Einer der wichtigen Männer hatte mich in einem silberfarbenen Toyota hierherbegleitet. Sie waren nicht hier, um mich hinzurichten. Neben einen Todeskandidaten hätte er sich nicht gesetzt.
    – Aufstehen!
    Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, und wartete darauf, dass die Hände mir aufhalfen ...
    – Aufstehen!
    Wenn ich mich weigerte, was zu sagen, war das Widerstand. Wenn ich mich weigerte aufzustehen, bedeutete das nur, dass ich es wohl nicht zustande bringen würde. Immerhin – versuchen konnte man’s ja. Ich stemmte mich hoch und passte auf, dass meine Beine den Stuhl nicht umwarfen. Ich spürte den Atem des Mannes auf meinem schweißnassen Nacken. Es war das Schwerste, was ich je gemacht hatte, aber ich schaffte es.
    – Umdrehen!
    Die Haltung machte den Unterschied. Den Unterschied zwischen meiner und ihrer Zeit – der moderne Killer, Beine gespreizt, Arme vorgestreckt, auf meinen Mund gerichtet. Im Halbdunkel brauchte ich eine Weile, um zu erkennen, dass er tatsächlich eine Waffe in der Hand hielt, konnte aber das Fabrikat nicht erkennen.
    Ich sah ihn über die Hände und die Waffe hinweg an, den Mann, der mir ins Ohr gebrüllt, der am Steuer gesessen hatte. Er trug eine

Weitere Kostenlose Bücher