Die Rueckkehr des Henry Smart
wüsste, dass sie auf gutem Wege ist.
– Also ich werde jedenfalls nicht mehr dabei sein.
– Man kann nie wissen.
Er stand auf.
– Dein Land braucht dich wieder, Henry. Los jetzt!
Hatte ich eine Wahl? Ich weiß es immer noch nicht. Aber ich stand auf und holte Hut und Mantel.
– Soll ich das Bein mitnehmen?
– Aye, tu das.
Das war im März 1986.
Er brachte mich zu einer Gedenkfeier in einem Friedhof nördlich der Grenze. Wir standen am Grab eines Jungen, der vor drei Jahren erschossen worden war. Du hältst deine Tochter am Leben – das war der Gedanke, der mich aufrechterhielt, das Wissen, dass sie Saoirse umbringen, sie eine Spionin nennen und ihr das Pappschild um den Hals hängen würden, wenn ich mich verweigerte.
Aber nein. Es war unheimlich kalt, aber ich freute mich, wieder dabei zu sein. So stramm wie möglich stand ich neben dem Mann, der die Rede hielt.
Wir stehen für ein freies, vereinigtes, sozialistisches und gälisches Irland.
Ich kannte ihn aus den Tagen der Hungerstreiks. Ein Mann, der jovial und gefährlich wirkte. In den nächsten Monaten, während der Osterwoche und in der Marschsaison, sollte ich ihn noch öfter sehen. Er roch nach Old Spice und Waffenöl. Er schüttelte mir die Hand – er schüttelte allen die Hand. Meine hielt er fest, und das machte mich froh.
Nein. Es war kein schönes Gefühl, sich von jungen Burschen stützen zu lassen und in die treudoofen bewundernden Augen der Männer zu sehen, die sich unter ihren Sturmhauben versteckten.
– Zu meiner Zeit brauchten wir die Dinger nicht.
– Richtig, Henry. Da waren Männer noch Männer.
– Worauf ihr euch verlassen könnt.
Sie lachten, weil ich sie zum Lachen gebracht hatte. Wir waren Kameraden. Rebellen, Revolutionäre.
Bullshit.
Da waren die Männer, die zu diesen – meist kleinen – Versammlungen kamen, die Zivilisten, die Sympathisanten und ihre Söhne. Und ihre Enkel im Kinderwagen. Und verbitterte frierende Frauen, denen die Last ihrer toten Söhne und Männer auf die Schultern drückte, großartige Frauen mit harten Gesichtern. Und ihre Töchter in schwarzen Mänteln. Sie hatten studiert, hatten das Leben draußen kennengelernt und sich bereitwillig von Händen ernähren lassen, die nicht immer katholisch waren. Jetzt waren sie wieder zu Hause, als Lehrerinnen, junge Frauen mit schlechtem Gewissen, zornig, hilflos, denen Soldaten nachpfiffen und denen Männer zuzwinkerten, die von Männern übersehen wurden und die mit ihren Vätern aufgewachsen waren. Nicht zu vergessen die kleinen Jungen und Mädchen mit Vätern in den Gräbern, auf denen sie standen. Sie alle hofften auf ihr vereinigtes Irland. Horchten auf Reifenquietschen und Türenzuschlagen, warteten auf Schlagzeilen, aus denen sie erfahren würden, dass der Mensch, den sie liebten, nicht zum Abendessen wieder da sein würde. Sie opferten ihr Leben für das bessere Leben, das sie nie kennenlernen würden. Ich sah, wie sie dem jovial-gefährlichen Mann zuhörten, den sie liebten und den sie beim Vornamen nannten, während er ihnen den Scheiß erzählte, ohne den sie nicht mehr leben konnten. Einem Dutzend in North Kerry, zweihundert auf dem Parnell Square, dreihundert in Bodenstown, zweitausend in Milltown. Die Botschaft blieb immer gleich. Der bewaffnete Kampf würde weitergehen, bis die Republik Wirklichkeit geworden war. Sie sahen ihn an und glaubten ihm. Sie hielten ihre Toten am Leben. Und ich wusste, dass ich sie allein dadurch, dass ich vor ihnen stand in meinem Trenchcoat (er war neu, aber sie hatten ihn so bearbeitet, dass er aussah, als hätte er schon jede Menge Blut und Ziegelstaub gesehen), mit dem berühmten Bein, meinem Splitter vom wahren Kreuz, anlog und vernichtete. Ich war Teil einer Verschwörung, die nicht zögern würde, mich umbringen zu lassen, wenn alles herauskam. Aber ich sah ihre Blicke und gab sie zurück.
Dinny Archer sah ich nicht.
– Ist er tot?
– Noch nicht.
– Wo ist er?
– Wir halten ihn fern. Die Kälte bekommt ihm nicht.
– Warum?
– Er würde unsere Einschätzung der aktuellen Situation nicht akzeptieren.
– Habt ihr ihm das gesagt?
– Nein.
Ich mochte den jovialen, gefährlichen Mann. Hätten wir uns vor siebzig Jahren kennengelernt, wäre ich für ihn durchs Feuer gegangen.
– Du bist jetzt Dennis Archer, Henry, sagte er. – Du bist unsere Verbindung zum First Dáil.
Der Augenblick war gekommen.
– Ich war nicht dabei, sagte ich zu ihm. Nur zu ihm. Ich sprach sehr leise.
– Das
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