Die Rueckkehr des Henry Smart
zu mir: – Machen Sie sich Sorgen?
– Ein bisschen schon. Normalerweise sagt sie Bescheid, wenn ...
– Allerdings hat sie nie von Ihnen gesprochen.
– Nie?
– Nicht mit mir. Ich will Ihnen nicht weh tun. Hat Saoirse mal über Mister Smart gesprochen, Mammy?
Noch immer kein Wort von der Witwe. An der Haltung der Hände sah man, dass sie mal eine sehr schöne Frau gewesen sein musste. Mir fiel etwas ein.
– Ich war auf der Beerdigung, sagte ich.
– Beerdigung?
– Von Ihrem Vater, sagte ich. – Mit Saoirse.
– Ja, richtig, jetzt erinnere ich mich. Aber da waren Tausende, Sie wissen ja, wie das ist.
– Yeah, sagte ich, obgleich ich selbst keine Erinnerung an den Tag hatte.
– Kommt sie oft? fragte ich.
– Ja, so oft sie kann. Wenn sie nicht mit ihrer Politik beschäftigt ist.
– Politik?
– Den H-Blocks und all dem Zeug, Sie wissen schon.
Ich nickte.
– Aber selbst dann nimmt sie sich immer ein paar Tage Zeit für uns. Um auf dem Laufenden zu bleiben.
Ich nickte wieder, aber mehr mochte ich nicht hören. Mir war schlecht, aber an das Geld für die Kleine dachte ich noch. Ich gab ihr den Schein in die Hand.
– Sag danke, Jessica, sagte ihre Mutter.
– Vielen Dank.
– Keine Ursache.
Als ich an der Witwe vorbeiging, machte sie den Mund auf. Die Stimme war brüchig, aber deutlich zu verstehen.
– Es gab da einen Henry Smart, sagte sie.
– Ach ja?
– Er hatte einen Blick für die Frauen.
– Nein, wirklich?
– Und dann hat er Nuala O’Shea geheiratet.
Da hatte ich nun zum ersten Mal den Vornamen meiner Frau gehört. Wenn sie nicht meine Frau mit ihrer jüngsten Tochter verwechselt hatte.
– Stimmt, Mammy, sagte die Tochter.
– Nuala.
Ich saß so, dass ich ihr Auge sehen konnte. Sie würde mir nicht davonkommen.
– Nuala, sagte ich.
Nichts zuckte.
– Ich weiß, wie du heißt, Nuala.
Nichts.
– In Chicago hast du gesagt, dass dein richtiger Name zu kompliziert für die Amis ist. Was zum Henker ist kompliziert an Nuala?
Nichts.
– Hast du das gewusst? fragte ich. – Das mit Saoirse?
Keine Regung.
– Habt ihr das so verabredet? fragte ich. – Dass du dich tot stellst und sie die Frau mit dem Kötertick spielt?
Es ergab keinen Sinn – nichts ergab einen Sinn –, und es steckte nichts dahinter. Aber ich hatte etwas zum Reden.
– Nuala.
Ich holte ihre Hand unter der Bettdecke hervor und küsste die Leberflecken, einen nach dem anderen.
– Daran muss ich mich wohl gewöhnen.
Ich sprach nur zu ihr. Das Mikro aus ihrem Ohr baumelte unter dem Fensterbrett, gleich würde ich es mir wieder holen und ihr ins Ohr stecken. Aber in diesem Augenblick gab es nur uns beide – unter den Rasensoden in Roscommon, im Staub von Oklahoma, auf der Straße, in den Güterzügen, auf dem Fahrrad. Uns beide – zusammen.
– Ich liebe dich.
Ich sah auf die Falten, die unter ihrem Auge zusammenliefen. Ich suchte nach der einen, die einst zu sehen war, wenn sie lächelte. Aber nichts geschah, sie rührte sich nicht.
Es war einerlei.
Ich überbrachte weiter meine Botschaften, eine so nichtssagend und harmlos wie die andere.
Sind die Bedingungen erschwinglich?
Ich wartete auf die eine, die einzig wahre Frage, die das Weltgeschehen ins Wanken bringen würde. Eine Weile, Ende 1985, überstürzten sie sich geradezu, es war eine Hektik wie im Vorweihnachtsgeschäft –
Können Sie Ihre Leute in dieser Sache hinter sich bringen? Werden die Verantwortlichkeiten geteilt?
Ich sagte mir, dass ich wahrscheinlich mit Krieg und Frieden jonglierte und Menschen weiter atmen und weiter kämpfen würden, weil jede Frage zu einer neuen führte. Und ich musste auch bedenken, dass meine Tochter womöglich irgendwo geknebelt und an einen Stuhl gefesselt war, in einem feuchten Haus, das an der Schattenseite eines Berges klebte, und nur so lange am Leben bleiben würde, wie ich mit den Botschaften hin und her rannte.
Dann versiegten die Antworten und Gegenantworten – die Verhandlungen wurden eingestellt.
Ich wurde nicht mehr gebraucht, oder die letzte Frage, die ich weitergereicht hatte – ich wusste nicht mehr welche –, war die falsche gewesen. Die Schießereien, die Bomben, die Schlagzeilen wurden nicht weniger. Es gab keine Waffenruhe, aber auch keine Verschärfung. Eine Mörserbombe traf eine Polizeikaserne; ein Schützenpanzer überfuhr einen jungen Burschen, der seinen ersten Rausch ausgerechnet auf der Fahrbahn hatte ausschlafen wollen; in schwarze Plastikfolie eingewickelt wurde ein
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