Die Rueckkehr des Henry Smart
Dublin wird mit London sprechen. London wird mit den Unionisten sprechen und Dublin mit den Nationalisten. Sie werden sich darauf einigen, alle zusammen mit den Republikanern zu sprechen. Insgeheim, wohlgemerkt. Der bewaffnete Kampf wird weitergehen. Wir erwarten Raketen und Kracher aus Libyen. Wir veranstalten unsere eigene Tet-Offensive, du weißt doch noch, was das war, Henry?
Ich nickte.
– Unsere Leute werden glauben, dass es so was Ähnliches ist. Aber das stimmt nicht. Es ist ein Verhandlungstrick. Sie werden über den Respekt vor anderen Traditionen auf der Insel reden, aber ...
Er griff nach dem Becher.
– ... es gibt nur eine Tradition, die zählt. Nur ein unterdrücktes Volk. Nur einen Krieg.
Er sah in den Becher und zuckte die Schultern.
– Und nur einen Sieger. Wir haben gesiegt.
Er stellte den Becher ab.
– Es gibt nur ein Irland.
Er lächelte.
– Was antwortet dir ein Ami, wenn du ihn fragst, was ein Ire ist?
– Weiß ich nicht.
– Natürlich weißt du das. Der Mann, den er beschreibt, das bist du und das bin ich. Republikaner, Katholik, unterdrückt von Großbritannien, liebt sein Bier, lacht gern, neigt zu Gewalttätigkeit. Aber nur aus politischen Gründen. Er kämpft bis zum Tod. Für die Freiheit. Ein großartiger Kerl. Stimmt’s?
– Wahrscheinlich.
– Aye. In der ganzen Welt dieselbe Geschichte. Republikanisch, katholisch, geknechtet, aber kampfbereit. Das sind wir, Henry. Wir alle.
– Und was ist mit den Protestanten?
– Keine Iren.
– So einfach ist das?
– Aye. Die einzig mögliche Definition. Darauf müssten wir eigentlich trinken.
– Ich hab nichts im Haus.
– Ist sowieso zu früh. Ich mach mir nicht viel aus Alkohol.
Er stand auf und klatschte so laut in die Hände, dass die Wände wackelten.
– Ich mach noch mal Tee.
– Scheißtee.
– Hey!
Ich sah ihn an.
– Republikaner, Katholik, Tee trinkender Ire – du hast keine Wahl.
Er grinste so breit, dass es ihm fast das Gesicht zerriss.
Dann schaltete er den Kessel ein, suchte sich zwei saubere Becher und Teebeutel.
– Du trinkst keinen Tee, aber du hast ein Haus voller Teebeutel.
– Meine Tochter.
– Aye. Natürlich.
– Wo ist sie?
Er antwortete nicht.
Er kam mit den Bechern zum Tisch, stellte einen vor mich hin und setzte sich. – Wir haben im Grunde schon vor Jahren gewonnen, sagte er.
– Ich will dir eine kleine Geschichte erzählen. Trink deinen Tee.
– Ich trinke keinen Tee.
– Willst du die Geschichte hören oder nicht?
– Okay.
– Schön. Erinnerst du dich an einen gewissen John Ford?
– Allerdings.
– Du hast ihn gekannt.
– Stimmt.
– Du hast ihn gut gekannt. Ihr habt lange Gespräche geführt, ausgiebig diskutiert und analysiert. Es war die Rede von einem Film.
– Yeah.
– Über deine Geschichte.
– Yeah.
–
The Quiet Man.
Die Geschichte eines Mannes. Der Kampf, die Schlacht, letztlich der Verrat. Das Scheitern der Revolution.
Er wartete.
– Yeah.
– Das konnten wir nicht zulassen, sagte er.
Was war ich doch für ein Trottel!
– Ich hab dir Zucker in den Tee getan, Henry, sagte er. – Zwei Löffel. Sieht aus, als ob du ihn gebrauchen könntest.
Ich griff nach dem Becher. Er war schwer und kaschierte, dass meine Hände zitterten. Ich nahm einen Schluck.
Das Zeug ließ sich trinken.
– Da warst du noch gar nicht auf der Welt, sagte ich.
– Doch, als ganz kleiner Knirps. Aber um mich geht es nicht. Ich habe die Fackel aufgenommen, als meine Zeit gekommen war. Und ich werde sie weitergeben. Früher oder später.
Ich trank meinen Tee.
– Ford war ein guter Mann. Beliebt bei unseren Leuten drüben. Er hat uns das Drehbuch lesen lassen. Einen ersten Entwurf. Es war Sprengstoff. Ein Bekannter hat’s gelesen. Er war begeistert, hat geheult dabei, und das würde er dir auch selber sagen. Es war genau so, wie es sich abgespielt hat. Aber ...
Er lächelte.
– Es wäre der letzte Sargnagel fürs Republikanertum gewesen. Ein bisschen wie ein Film über die Apachen. Das Ende eines Lebensstils – und niemand mehr übrig, der ihn hätte wiederbeleben können. Und ohne Apachen als Stars.
– Ja und dann?
– Du weißt, was dann kam.
– Nein.
– Aye. Er hat den
Quiet Man
gedreht.
– Warum?
– Um einen Ort zu zeigen, für den es sich zu kämpfen lohnt.
Er sagte es ganz leise, wie eine heimliche Wahrheit.
– Eine Schönheit, die zerstört werden sollte.
– Verdammt noch mal.
– Aye.
Es leuchtete mir ein, aber noch nicht ganz.
–
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