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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Toter gefunden, nachdem der Wind die oberste Sandschicht von den Dünen geweht hatte – ein vor sieben Jahren dort begrabener Spitzel. Sie stellten mir einen Schinken und ein großes Huhn vor die Tür und ein kleines Netz mit Rosenkohl, zwei Tage vor Weihnachten. Und eine Karte:
Tiocfaidh ár lá – Beannachtaí na Nollag.
Am Weihnachtstag rief ich in Chicago an, aber niemand meldete sich.
    Im Januar und Februar 1986 saß ich stundenlang am Ententeich und fror mir den Arsch ab, aber niemand setzte sich neben mich. Bis auf eine Nonne aus dem nahe gelegenen Kloster, die mir die Hand aus der Jackentasche zog und mich fragte, ob ich wüsste, was Hypothermie sei.
    – Yeah, log ich.
    – Sie wissen, was es bedeutet?
    – Mir geht’s gut.
    – Es schleicht sich an, wenn man nicht warm genug angezogen ist, sagte sie.
    – Wär nicht das erste Mal, dass mich was anschleicht, konterte ich.
    Sie lächelte. (Auf dem Heimweg schlug ich
Hypothermie
nach. In der Bibliothek war es voll, die Arbeitslosen kamen aus der Kälte hierher. An einem Tisch saß eine ganze Familie und benahm sich wie zu Hause, nur gesitteter.)
    – Ja, dann will ich nicht weiter stören, sagte sie.
    Ich antwortete nicht.
    Den Teich gab ich auf, als Schulschwänzer vor meinen Füßen Steine aufs Eis warfen. So wie sie aussahen, gingen sie noch in die Grundschule. Sie rauchten und spuckten und spürten die Kälte nicht.
    Ich saß zu Hause. Ich fuhr nach Howth. Ich rief in Chicago an. Ich rief in Roscommon an.
    – Nichts gehört, Mister Smart, tut mir leid.
    – Okay.
    – Sie machen sich bestimmt Sorgen.
    – Allerdings.
    – Haben Sie die Polizei verständigt?
    – Yeah.
    – Es wird ihr schon nichts passiert sein.
    – Ich weiß.
    – Also bis dann.
    Miss O’Shea hatte wieder das Mikro im Ohr, aber niemand hörte mit. Ich war ein Mann von gestern. Sie verhandelten jetzt persönlich. Oder meine letzte Nachricht war endgültig die falsche gewesen. Der Kampf ging weiter, der lange Krieg wurde länger. Vielleicht hatten sie den Mann mit dem Bart geschnappt und erledigt, in schwarze Plastikfolie gewickelt und irgendwo in einem Loch im Wald verscharrt. Es gab keine Gerüchte, keine Bekanntmachungen. Nichts geschah. Ich wartete auf Meldungen über tote Republikaner.
    Das Telefon läutete. Einmal.
    Ich hob ab.
    – Es geht ihr gut.
    Eine Männerstimme mit Dubliner Akzent. Die Leitung war tot, ehe ich was sagen konnte.
    Sie brauchten mich noch. Sie hielten Saoirse fest, oder sie hielt sich fern. Weil sie noch mehr von mir erwarteten.
    Ich wartete. Ich hatte keine Wahl.
    Bombenanschläge, kaputtgeschossene Knie, Greuel, die fast alle Männer und Frauen südlich der Grenze langweilten. Alles wie gehabt.
Nord
irland eben.
    Ich saß bei Miss O’Shea. Ich schaute sie an und sah keine Nuala. Der Name hatte nichts geändert. Sie saß immer noch – ungestüm und wild entschlossen – auf der Querstange zwischen meinen Beinen oder lag tot im Bett mit einem Mikro im Ohr.
    Die Krankenschwester vom Special Branch war nicht mehr da. Ihre Nachfolgerin hatte keine Nebentätigkeit, soweit ich das feststellen konnte. Sie war ausschließlich Krankenschwester, auch wenn das Kabel – anscheinend unberührt – noch immer zu Miss O’Sheas Ohr führte.
    – Ich bin müde, sagte ich.
    Ich saß am Fußende des Bettes, zwischen Dun Laoghaire und Howth.
    – Lebensmüde. Nicht nur normal müde, sagte ich und wartete.
    – Ich wünschte, es würde aufhören.
    Und so meinte ich es auch. Von meinen Träumen – meinem Platz in der Geschichte, meinem Leben auf der Ladefläche des republikanischen Lasters – war nichts geblieben.
    Jeden Sonntag rief ich in Chicago an. Ich telefonierte mit Roscommon.
    – Ist da Mister Smart?
    – Yeah. Hallo.
    – Nichts gehört, Mister Smart.
    – Danke.
    – Es wird ihr schon nichts passiert sein.
    – Ich weiß.
    Alles egal.
    Ich war müde.
    – Es ist Zeit, sagte ich zu Miss O’Shea. – Was bleibt denn noch?
    Ich würde mich neben meine Frau legen und den Tropf abstellen.
    Aber das war sentimentaler Scheiß und ging gar nicht. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte Saoirse sehen, und ich wollte meine Frau nicht allein lassen. Wenn ich mich konzentrieren konnte, war ich neugierig. Und wütend genug, um wach zu bleiben, um die ganze Nacht dazusitzen und die Tür anzustarren.
    Die Wut hielt mich am Leben. Die Wut hielt mich wach.
    Aber dann war er unversehens da. Er stand dicht neben mir, ich wusste, dass er es war. Der Schreck und die Kälte holten

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