Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
Vom Netzwerk:
rasch daraus geworden war. Und der Gefahr des neuerlichen Todesurteils, das daraus werden konnte, wenn es ungesagt blieb. Ich wollte der sein, für den sie mich hielten.
    Und das war ich ja auch. Ich war der Henry Smart, von dem ihnen ihre Väter und Großmütter erzählt hatten. Der Mann mit dem Bart hatte auf mein Bein gesehen, er wusste, wer ich gewesen war. Ich war Henry Smart.
    Aber ich wusste seit Jahren, dass hier Religion im Spiel war und somit Aberwitz. Die Heiligkeit der Worte.
Republik
oder
Freistaat
. Wählst du falsch, bist du verloren. Wählst du richtig, bist du tot. Beides zugleich ging ebenso wenig wie eins von beiden. Auch das hatte ich gewusst, als ich das Land verließ. Aber zumindest war es damals, vor einer halben Ewigkeit, eine echte Entscheidung gewesen. Eine Wahl.
    Aber eben nie meine Wahl. Hände hoben sich und wurden gezählt. Aber nicht meine Hand. Ich war nicht im Mansion House gewesen. Und nur darum ging es. Ich war ihre wandelnde Legitimation, aber im Augenblick war ich der Einzige, der wusste, dass es eine Lüge war.
    Ich trank den Nescafé, ich schmeckte ihn sogar. Ich aß die Cornflakes. Ich machte ganz normale Sachen. Ich nahm meine Schlüssel und ging zur Arbeit. Ich wusste, dass ich unter Beobachtung stand.
    Keine Ahnung, wie es zu dem Irrtum gekommen war. Ich würde es noch rauskriegen, wenn ich lange genug lebte. Es war ihr Fehler und nicht in erster Linie meine Schuld. Sie hatten vorschnelle Schlüsse gezogen. Der alte IRA-Mann im Krankenhaus. Ein bekannter Name. Henry Smart?
Der
Henry Smart. Kein Name aus den Geschichtsbüchern, aber einer, der in den richtigen, den geschlossenen Kreisen kursierte, von alten Männern an die Jungen, die künftigen Waffenschmuggler, weitergegeben wurde, an den Tischen der republikanischen Klubs, beim Singen und Weinen mit geschlossenen Augen immer gegenwärtig war.
Der kühne Henry Smart.
Sie guckten sich das Foto auf der ersten Seite an, den alten Mann mit den Verbänden, trotzig im Bett sitzend. War das derselbe Mann, der Michael Collins, dem Big Fella, eine Watsche verpasst hatte? Genau, der war’s. Der Mann, der nie aufgab. Der Mann, der in das First Dáil gewählt wurde. Ich hörte sie darüber reden, drüben in Belfast. Irgendein Alter mit Kriegsneurose hatte seine Rebellen verwechselt, und ich wurde zu einem der Gesalbten, dem Letzten der Aufrechten. Ein Scheiß-Moses. Das Bindeglied zu Gott. Und wie war das vor der Bombe gewesen? Der Irrtum war älter als die Bombe. Aber das spielte keine Rolle.
    Als ich das Schultor aufschloss, wurde mir klar, dass Samstag war. Schulfrei. Die Aula wurde gebraucht, aber erst später: Ein Kuchenbasar sollte Geld für eine Gemeindereise nach Lourdes bringen. Die Verantwortliche – keine Ahnung, wie sie hieß, ich hatte nicht aufgepasst – wollte den Schlüssel bei mir zu Hause abholen. Keine schlechte Idee, so eine Reise nach Lourdes. Ich konnte mich unter den Lahmen und Verrückten verstecken. Ein Kinderspiel, ich machte so was nicht zum ersten Mal. Ich würde nach Frankreich humpeln und dort untertauchen.
    Ich schloss wieder ab und ging durchs Dorf zurück.
    Ich stand unter Beobachtung. Ich dachte an Lourdes und die spanische Grenze und an die Frau, die diese Reise organisierte. Im Gehen arbeitete ich an meinem Humpelschritt. Einen neuen Pass würde ich brauchen, mein alter amerikanischer war längst abgelaufen. Ich hatte Geld unter einem Dielenbrett liegen. Alles musste so aussehen, als ob ich zurückkommen würde. Die Schule war voller Provisionals. Der Priester war ein Provisional – und damit war mein Plan schon geplatzt. Der Priester würde seine siechen Schäfchen begleiten, ein halbes Flugzeug voll, und sie fleißig mit dem Rosenkranz geißeln. Am Ende landeten wir zwei noch in einem gemeinsamen Zimmer oder in einem Bett.
    Ich würde die Frau fragen, von der ich nicht wusste, wie sie hieß, welcher Priester auf der Reise das Weihwasser bei sich haben würde. Wenn meiner dafür nicht zuständig war, würde ich mitgehen. Die Gemeinde war jung und hatte drei Seelsorger. Die alte Kirche war jetzt eine Bingohalle, die neue auf der anderen Seite der neuen Main Road war ein Riesenkasten, der jeden Sonntag fünf- oder sechsmal brechend voll war. Wenn es mit Lourdes nicht klappte, konnte ich die Fähre nach Holyhead oder Liverpool nehmen, dazu brauchte ich keinen Pass. Es war meine Route von 1922, nur in umgekehrter Richtung.
    Der Heimweg fiel mir echt schwer, es war keine Schau. Ich war ein alter

Weitere Kostenlose Bücher