Die Rueckkehr des Henry Smart
sagte sie.
– Welcher denn?
–
The Quiet Man.
– Der ist aber eigentlich in Farbe.
– Wirklich?
– Technicolor.
– Haben wir halt Pech gehabt.
Der Film war – Farbe hin, Farbe her – gelinde gesagt scheiße. Wir saßen da, guckten ihn bis zum Schluss und sahen nichts, was sie näher an mich heranrücken, nichts, was uns einen stillschweigenden Blick tauschen ließ. Wayne und Maureen auf dem Fahrrad, ein Sattel für jeden, keine MP auf dem Lenker. Null Überfälle, null Schießereien. Von dem, was wir zusammen oder jeder für sich allein durchgemacht hatten, kam nichts vor. Es lief alles genau so, wie ich es in dem Drehbuch gelesen hatte, ehe die Maschine 1951 in Shannon gelandet war.
The Quiet Man
und die Provisional IRA – die beiden Gesichter Irlands, und beide hatte ich erfunden.
Als der Film vorbei war, streckte ich mich und breitete die Arme weit aus, aber sie blieben leer.
– Wie fandest du ihn?
– Schön, sagte sie.
– Schön?
– Ja.
– Was war schön daran?
– Alles.
Sie war nicht Miss O’Shea.
Ich schloss das Schultor auf. Ich kümmerte mich um undichte Stellen und Bruchschäden. Ich sah die Schule altern. An den Außenmauern breiteten sich die feuchten Flecken nach unten aus, und vom Boden her wuchs ihnen Moos entgegen. Die Fußböden glänzten nicht mehr, Farbe wurde rissig und blätterte ab. In den Ecken der Fensterscheiben entstanden kleine Sprünge, für die niemand was konnte. Ich sah zu und konnte nichts machen. Ich kam nicht nach. Die neuen Blessuren, die aus der Talbot Street, hatten alte Verletzungen wieder aufflammen lassen und sich zu den Schusswunden gesellt, zu den Narben, die die Folter hinterlassen hatte, und zu den Jahren, die ich in Gräben verbracht und in denen ich unter Züge gefallen war. Ich war ein alter Mann, der ein älteres Leben mitschleppen musste. Jede Bewegung machte Mühe. Meine Tage waren gezählt.
Aber das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Ich war der Maulwurf, das wandelnde Relikt. Die Insider unter den Lehrern beugten sich, wenn ich vorbeikam. Aber auch sie wurden älter, kriegten graue Haare oder eine Glatze. Manche gingen ab und übernahmen die Leitung der großen Schulen, die hastig in den neuen Vororten weiter westlich hochgezogen wurden. Strickland ging mir aus dem Weg, und wenn das nicht klappte, wenn er nicht schnell genug ausweichen konnte, sprach er über den Ruhestand – seinen wohlgemerkt – und sah über meine Schulter dahin, wo der auf ihn wartete. Die Schultern in dem Anzug, den er an seinem ersten Tag in seiner nagelneuen Schule getragen hatte, waren geschrumpft. Die Jungs auf dem Schulhof wurden größer. Sie waren die erste Generation der Wohlernährten, selbst die Mickrigsten waren noch Riesen.
Die Albträume verschlimmerten sich. In den ersten Monaten, gleich nach der Bombe, hatte ich keine gehabt, nur Schmerzen, und die konnten ruhig kommen – ich lebte, und das war die Hauptsache. Ein Jahr oder länger blieben die Träume weg. Aber dann kamen sie und rissen mich aus dem Schlaf und ließen nicht los, bis ich mir nicht anders als wieder mit Schlafen zu helfen wusste. Hinter der dünnen, atmenden Wand von Schlaf lauerte das Grauen. Meine Augen schlossen sich, Hände hebelten mir den Mund auf, rissen ihn mir aus dem Gesicht, packten den Schrei, ehe ich ihn rauslassen konnte.
– Bist du das?
Es war dunkel. Stockdunkel.
– Warst du das?
Es war Missis O’Kelly. Ich wusste, wo ich war und wo ich eingeschlafen war.
– Hast du diesen Radau gemacht? fragte sie.
– Muss wohl so sein.
– Hat sich angehört, als wenn dich einer erwürgt.
Ein Auto fuhr vorbei. Ich erkannte Vorhänge, einen Kleiderschrank.
– So war’s auch.
Ich war nicht sicher, ob ich wach war. Die Träume waren mittlerweile realer als der Wachzustand. Sie ließen nie los. Ich tastete nach dem Blut in meinem Gesicht. Ich keuchte immer noch vor Entsetzen. Ich hatte mich auf einen Ellbogen gestützt und wollte mich nicht wieder hinlegen.
– Mach das Licht an, sei so gut, sagte ich.
Sie reckte sich seufzend nach dem Lichtschalter an ihrer Seite. Jetzt konnte ich das Zimmer sehen und legte mich zurück.
– Entschuldige bitte.
Ich machte die Augen zu, die Scham drückte auf meine Lider.
Ich spürte ihre Hand auf meiner Stirn. Es war kein Schock und nicht unwillkommen, trotzdem rutschte ich weg, fühlte mich zu sehr an die Hände in dem Traum – den Träumen – erinnert: Schrapnell, das zu stählernen Fingern auf meinem Gesicht und meinem
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