Die Rueckkehr des Henry Smart
kämpfte, dann ging es los. Welche IRA mich geschnappt hatte, wusste ich nicht und fragte auch nicht.
– Magst du Planxty, Henry?
Der harte Mann saß am Steuer.
Der Mann neben mir lachte. Ich antwortete nicht.
– Ich hab das Album hier, sagte der harte Mann zu dem Mann neben mir, offenbar kannten sich die beiden.
– Bestens, sagte der Kopf neben mir.
– Ich schieb’s mal rein, sagte der harte Mann. – Bin gespannt, was Henry dazu sagt.
Ich hörte ein Klicken – jeder Klick konnte ein gespannter Abzug sein –, dann dröhnte uns irischer Folk in die Ohren.
– Wie findest du das, Henry? rief der harte Mann.
Ich wusste, was ich zu sagen hatte.
– Gut.
Die beiden lachten. Als der harte Mann anhielt, hatte ich die ganze Scheibe dreimal gehört. Ich hatte jeden Versuch aufgegeben, mich zu orientieren. Ebenso gut hätte ich schlafen können. Sie hatten mich nach Norden gebracht. Oder aber der Norden war zu mir gekommen. Ich wusste nur, dass die IRA seit meiner Zeit in den Norden abgewandert war. Und das hier hatte mit der IRA zu tun.
Wir standen. Der Kopf neben mir gähnte. Ein Nackenschlag – und ich wäre draußen gewesen und hätte mich im Zickzackkurs vor den Kugeln in Sicherheit bringen können.
Aber ich wollte nicht weg. Ich konnte nicht und ich wollte nicht. Ich war neugierig. Mehr als das. Ich mochte diese Männer, sie hatten mir gefehlt.
Ehrlich – ich fühlte mich in dem Van zu Hause.
– Wo sind wir? fragte ich.
Eine Antwort erwartete ich gar nicht, aber ich wollte die Stimmen hören.
– Rate mal, sagte der harte Mann.
Er machte seine Tür auf.
Die Luft war kalt. Wieder Seeluft. Wir waren dicht an der Küste entlanggefahren, Richtung Norden. Ich war hellwach.
Ich stieg selbständig aus, wehrte die Hand ab, die sich mir entgegenstreckte, versuchte, mich schnell aufzurichten, und schaffte es auch. Ich wusste, dass ich unter Beobachtung stand. Junge Augen beobachteten den alten Mann.
Und ich wusste noch was: Ich wollte mitmachen. Seit der Bombe trug ich eine Riesenwut in mir, das begriff ich jetzt.
Aber wozu wollten sie mich haben?
Ich wartete immer noch. Die Männer – ich wusste nicht, wie viele es waren – standen auf der windabgewandten Seite. Sie flüsterten oder sprachen leise – ein nördlicher Dialekt? Ich war mir nicht sicher.
Der Pullover hing noch über meinem Gesicht. Der Wind zerrte an den Ärmeln, war aber nicht stark genug, um ihn ganz wegzuwehen. Minutenlang stand ich stumm da. Ich war Opfer einer Bombe geworden, aber so richtig begriff ich das erst jetzt, begriff ich das als eine Wut, die ich beherrschen und an die ich mich halten konnte. Eine nützliche, komfortable Wut. Sie hätten mich fast umgebracht. Dreiunddreißig Menschen hatten sie umgebracht, die Loyalisten, die UV – was auch immer sie waren. Und die Briten – das hatte jemand geflüstert, als ich im Krankenhaus lag –, die Briten steckten dahinter. Eine Frauenstimme, aber erst jetzt hörte ich sie. Monate nach den Bomben hatte sie einen Sinn bekommen.
Ich stand da und war meiner Sache sicher.
Schuhe schleiften durch Gras. Zigarettenrauch kam mir entgegen. Ich war umzingelt.
– Henry.
Noch eine neue Stimme. Eine Belfaster Stimme.
–
A chara.
Ich war den Pullover los und sah einen hochgewachsenen Mann mit Bart vor mir. Auf Augenhöhe, wie ich zufrieden feststellte.
– Himmelherrgott noch mal, es ist toll, dich endlich kennenzulernen.
Das Lächeln war breit, aber beherrscht. Alles an ihm war strikt unter Kontrolle. Der Bart, die Augen. Perfekte Zähne, zu groß und regelmäßig. Ich hatte noch nie so weiße Zähne in einem katholischen Mund gesehen.
Er hatte gelächelt, jetzt lächelten auch die anderen. Sechs Mann. Ich wusste sofort, welche mich hergebracht hatten. Einen Mann nach der Form seines Kopfes einzuschätzen – darin war ich schon immer gut gewesen. Die beiden Dubliner standen ein Stück abseits. Sie hatten ihren Job gemacht, sie hatten hier nicht das Sagen. Sie grinsten mir zu – alte Kumpels. Ich nickte. Sie hatten sich ordentlich um mich gekümmert, ich nahm ihnen nichts übel. Ich lächelte nicht.
Ich sah mir den Mann mit dem Bart an. Die Brust unter dem Aranpullover verriet seine Kraft. Hier war ein Mann, der im Knast seinen Körper trainiert hatte. Den sie verhört hatten und der nichts rausgelassen hatte. Ein Mann, dem man die Zähne ausgeschlagen hatte und der nicht mal geblutet hatte. Er hatte sich größere, weißere angeschafft und die Arschlöcher angegrinst,
Weitere Kostenlose Bücher