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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Maschine von South Dakota hierher war klein gewesen, und es hatten sich weniger als vierzig Personen an Bord befunden. Er hatte einen Sitz nur zwei Reihen vor ihr zugeteilt bekommen. So nah, dass er tatsächlich geglaubt hatte, ihren Geruch riechen zu können – den unter dem Parfum und dem Make-up. Den Geruch, den die Hunde aufnehmen konnten.
    Es war ein berauschendes Gefühl, so nah und zugleich so weit entfernt zu sein. Er wollte sich die ganze Zeit umdrehen und zu ihr zurückschauen, vielleicht zwischen den Sitzen hindurch einen Blick auf ihr Gesicht werfen und sehen, was sie tat. Aber er riskierte es nicht. Er musste sich Zeit lassen. Ihm war klar, dass Erfolg nur denen vergönnt war, die sorgfältig planen und dann warten können. Das war der entscheidende Punkt, das Geheimnis. Die Dunkelheit wartet. Alle Dinge kommen zum Dunkeln.
    Er folgte ihr durch den halben American-Airlines-Terminal, bis sie am Flugsteig K9 Platz nahm. Er war leer. Hier warteten keine Fluggäste. Keine Angestellten der Fluggesellschaft standen hinter dem Schalter bereit, um an den Computern zu arbeiten und die Bordkarten zu kontrollieren. Aber das lag nur daran, dass sie zu früh dran war. Sie beide waren zu früh dran. Der Flug nach Las Vegas ging erst in zwei Stunden von K9. Das wusste er, weil er ebenfalls die Maschine nach Vegas nehmen würde. In gewisser Weise war er Rachel Wallings Schutzengel, ein stiller Begleiter, der bei ihr sein würde, bis sie am Ziel ihrer Reise ankam.
    Als er am Flugsteig vorbeiging, gab er sich große Mühe, sie nicht irgendwie auffällig anzusehen, obwohl er neugierig war, wie sie sich die Zeit vertreiben würde, bis ihr Flug aufgerufen wurde. Er legte den Riemen seiner großen Rindsledertasche über seine rechte Schulter, damit ihr Blick, falls sie zufällig aufschaute, darauf gelenkt würde und nicht auf sein Gesicht. Er machte sich keine Sorgen, dass sie ihn als den erkennen könnte, der er war. Dem hatten die Schmerzen und die Operationen abgeholfen. Aber möglicherweise erinnerte sie sich von dem Flug von Rapid City an ihn. Und das wollte er nicht. Er wollte nicht, dass sie argwöhnisch wurde.
    Sein Herz hüpfte in seiner Brust wie ein unter einer Decke strampelndes Baby, als er im Vorbeigehen einen verstohlenen Blick auf sie warf. Sie las mit gesenktem Kopf ein Buch. Es war alt und abgegriffen, so oft war es gelesen worden. Zwischen seinen Seiten standen zahlreiche gelbe Haftnotizen hervor. Doch er erkannte den Einband und den Titel. Der Poet. Sie las über ihn!
    Bevor sie spüren konnte, dass sie einen Beobachter hatte, und aufblickte, ging er rasch weiter. Er ging zwei Flugsteige weiter und in die Toilette. Er betrat ein Abteil und schloss die Tür sorgfältig ab. Er hängte seine Reisetasche an den Türhaken und machte sich an die Arbeit. Runter mit dem Cowboyhut und der Weste. Er setzte sich auf die Toilette und zog auch die Stiefel aus.
    In fünf Minuten verwandelte sich Backus von einem South-Dakota-Cowboy in einen Las-Vegas-Spieler. Er legte die Seidenklamotten an. Er legte das Gold an. Er legte den Ohrring und die Sonnenbrille an. Er befestigte das auffällige Chromhandy an seinem Gürtel, obwohl es niemanden gab, der ihn anrufen würde, und niemanden, den er anrufen würde. Aus der Reisetasche nahm er eine viel kleinere Tasche mit einem MGM-Löwen drauf heraus.
    Die Bestandteile seiner ersten Haut wurden in die neue Tasche gestopft, und er kam mit dem Riemen der MGM-Tasche über der Schulter aus dem Toilettenabteil.
    Backus ging ans Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Er bewunderte sich für die Vorbereitungen, die er getroffen hatte. Es waren die Planung und die Berücksichtigung von Kleinigkeiten wie dieser, die ihn zu dem machten, was er war, ein Meister seines Fachs.
    Kurz dachte er an das, was ihn erwartete. Er würde Rachel Walling auf eine Besichtigungstour mitnehmen. Wenn sie zu Ende war, würde sie die Tiefen der Finsternis kennen. Seiner Finsternis. Sie würde für das, was sie ihm angetan hatte, büßen.
    Er spürte, wie er eine Erektion bekam. Er wandte sich vom Waschbecken ab und ging in eins der Toilettenabteile zurück. Er versuchte, seine Gedanken zu ändern. Er hörte den Mitreisenden zu, die in der Toilette ein und aus gingen, sich erleichterten, sich wuschen. Ein Mann telefonierte mit einem Handy, während er im Abteil daneben seine Notdurft verrichtete. Es roch grauenhaft. Aber das war in Ordnung. Es roch wie in dem Tunnel, in dem er vor so langer Zeit in Blut

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