Die Rückkehr des Sherlock Holmes
anfertigen lasse. Er schickt mir immer tausend auf einmal, und ich sage mit Bedauern, daß ich alle zwei Wochen frischen Nachschub bestellen muß. Schlimm, Sir, ganz schlimm; aber ein alter Mann hat nur wenige Vergnügungen. Tabak, und meine Arbeit – mehr ist mir nicht geblieben.«
Holmes hatte sich eine Zigarette angemacht und verschoß pfeilschnelle kleine Blicke durch den ganzen Raum.
»Tabak und meine Arbeit, aber jetzt nur noch Tabak«, rief der alte Mann aus. »Ach, welch fatale Unterbrechung! Wer hätte eine solch furchtbare Katastrophe vorhersehen können? So ein schätzbarer junger Mann! Ich versichere Ihnen, nach wenigen Monaten Einarbeitung war er ein vortrefflicher Assistent. Was halten Sie von der Sache, Mr. Holmes?«
»Ich bin noch zu keinem Schluß gekommen.«
»Ich werde Ihnen wahrhaftig Dank wissen, wenn Sie dorthin, wo uns alles so dunkel ist, Licht bringen können. Für einen armen Bücherwurm und Invaliden wie mich ist ein solcher Schlag lähmend. Die Denkfähigkeit scheint mir verlorengegangen zu sein. Sie aber sind ein Mann der Tat – Sie sind ein vielseitiger Mann. So etwas gehört zur täglichen Routine Ihres Lebens. Sie können in jeder Notsituation Ihren Gleichmut bewahren. Wir können uns glücklich schätzen, Sie zur Seite zu haben.«
Während der alte Professor sprach, schritt Holmes an einer Seite des Zimmers auf und ab. Ich beobachtete, daß er mit außerordentlicher Geschwindigkeit rauchte. Offensichtlich teilte er die Vorliebe unseres Gastgebers für diese frischen alexandrinischen Zigaretten.
»Ja, Sir, ein niederschmetternder Schlag«, sagte der Alte. »Dies dort ist mein
magnum opus –
der Stapel Papiere auf dem Nebentisch dort hinten. Es ist meine Analyse der in den koptischen Klöstern Syriens und Ägyptens entdeckten Dokumente, ein Werk, das tief an den Fundamenten der geoffenbarten Religion schürfen wird. Ich weiß wirklich nicht, ob ich es bei meiner geschwächten Gesundheit, und da mir nun mein Assistent genommen wurde, jemals werde abschließen können. Du liebe Zeit, Mr. Holmes; na sowas, Sie rauchen ja noch schneller als ich selbst.«
Holmes lächelte.
»Ich bin Kenner«, sagte er, entnahm der Schachtel eine weitere Zigarette – seine vierte – und entzündete sie am Stummel der gerade ausgerauchten. »Ich möchte Sie nicht mit einem langwierigen Kreuzverhör belästigen, Professor Coram, zumal ich annehme, daß Sie zur Tatzeit im Bett waren und nichts davon mitbekommen haben können. Ich wollte Sie nur dies eine fragen – Was hat dieser arme Bursche Ihrer Meinung nach mit seinen letzten Worten sagen wollen: ›Der Professor – es war sie‹?«
Der Professor schüttelte den Kopf.
»Susan ist ein Mädchen vom Lande«, sagte er, »und Sie kennen ja die unglaubliche Beschränktheit dieser Leute. Ich stelle mir vor, daß der arme Bursche ein paar zusammenhanglose, fiebrige Worte murmelte und daß sie die zu dieser sinnlosen Botschaft zurechtgebogen hat.«
»Aha. Sie selbst haben keine Erklärung für diese Tragödie?«
»Vielleicht ein Unfall; vielleicht – das nur ganz leise unter uns – ein Selbstmord. Junge Männer haben ihre verborgenen Kümmernisse – irgendeine Liebesgeschichte womöglich, von der wir nie erfahren haben. Eine solche Annahme ist wahrscheinlicher als ein Mord.«
»Aber der Kneifer?«
»Ah! Ich bin nur ein Forscher – ein Mann der Träume. Die praktischen Lebensdinge vermag ich nicht zu erklären. Und doch, mein Freund, wissen wir, in welch sonderbaren Formen Liebespfänder auftreten können. So nehmen Sie doch noch eine Zigarette. Es ist ein Vergnügen zu sehen, daß jemand sie so zu schätzen weiß. Ein Fächer, ein Handschuh, eine Brille – wer weiß, was für Dinge ein Mann, der seinem Leben ein Ende setzt, als liebes Andenken mit sich nimmt? Dieser Gentleman spricht von Fußspuren auf dem Gras; doch kann man sich bei dergleichen leicht täuschen. Was das Messer betrifft, so kann es der Unglückliche durchaus im Niederstürzen weggeworfen haben. Vielleicht rede ich wie ein Kind, aber mir scheint, daß Willoughby Smith durch eigene Hand von uns gegangen ist.«
Holmes schien von dieser so vorgebrachten Theorie beeindruckt und ging eine Zeitlang weiter auf und ab, ganz in Gedanken verloren und eine Zigarette nach der anderen rauchend.
»Sagen Sie mir, Professor Coram«, meinte er schließlich, »was befindet sich in diesem Schrank am Schreibtisch?«
»Nichts, was einem Dieb nützen könnte. Familienpapiere, Briefe meiner
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