Die Rückkehr des Sherlock Holmes
und es wurde nichts von Wert darin aufbewahrt. In dem Schrank befanden sich einige wichtige Papiere, doch es gab keine Anzeichen dafür, daß sich jemand daran zu schaffen gemacht hätte, und der Professor versichert mir, daß nichts davon fehlt. Es steht fest, daß nichts gestohlen wurde.
Ich komme nun zu der Leiche des jungen Mannes. Sie wurde neben dem Sekretär gefunden, und zwar gleich links davon, wie auf der Skizze markiert. Der Einstich befand sich auf der rechten Halsseite und ging von hinten nach vorne, so daß es praktisch ausgeschlossen ist, daß er ihn sich selbst beigebracht haben könnte.«
»Es sei denn, er wäre auf das Messer gefallen«, sagte Holmes.
»Ganz recht. Das kam mir auch in den Sinn. Aber das Messer lag einige Fuß von der Leiche entfernt, so daß dies unmöglich scheint. Des weiteren haben wir natürlich die letzten Worte des Mannes. Und schließlich hielt der Tote dieses wichtige Beweisstück mit der rechten Hand umklammert.«
Stanley Hopkins zog ein kleines Päckchen aus seiner Tasche. Er entfaltete es und enthüllte einen goldenen Kneifer, an dem die beiden abgerissenen Enden einer schwarzen Seidenschnur baumelten. »Willoughby Smith sah ausgezeichnet«, fugte er hinzu. »Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er dies dem Attentäter vom Gesicht gerissen hat.«
Sherlock Holmes nahm die Brille in die Hand und untersuchte sie mit äußerst gespanntem Interesse. Er setzte sie sich auf die Nase, versuchte, durch sie zu lesen, ging ans Fenster und blickte damit auf die Straße, betrachtete sie sich eingehendst im vollen Licht der Lampe, und schließlich setzte er sich kichernd an den Tisch und schrieb ein paar Zeilen auf ein Stück Papier, das er dann Stanley Hopkins, zuwarf.
»Mehr kann ich nicht für Sie tun«, sagte er. »Es könnte sich als ganz nützlich erweisen.«
Der verblüffte Polizist las den Zettel laut vor. Er lautete folgendermaßen:
Gesucht: eine Frau von guter Lebensart, gekleidet wie eine Dame. Sie hat eine auffällig dicke Nase, und ihre Augen stehen sehr dicht beisammen. Sie hat Falten auf der Stirn, einen starren Gesichtsausdruck und vermutlich runde Schultern. Einiges weist darauf hin, daß sie in den letzten Monaten mindestens zweimal einen Optiker aufgesucht hat. Da sie eine bemerkenswert starke Brille besitzt, und da es nicht sehr viele Optiker gibt, dürfte es nicht schwierig sein, sie aufzuspüren.
Holmes lächelte über Hopkins’ Verblüffung, die sich auf meinen Zügen widergespiegelt haben muß.
»Meine Schlüsse sind freilich durchaus einfach«, sagte er. »Es dürfte schwerfallen, irgendeinen Gegenstand zu benennen, der ein günstigeres Feld für Schlußfolgerungen bietet als eine Brille, besonders wenn es sich um eine so auffällige handelt wie diese hier. Daß sie einer Frau gehört, schließe ich aus ihrem feinen Bau und natürlich aus den letzten Worten des Sterbenden. Was ihre Vornehmheit und elegante Kleidung betrifft, so sind die Gläser, wie Sie sehen, nobel in solides Gold gefaßt, und es ist unvorstellbar, daß jemand, der eine solche Brille trug, ansonsten schlampig ausgesehen haben könnte. Sie werden feststellen, daß die Nasenbügel für Ihre Nase zu weit auseinanderstehen, was darauf hindeutet, daß die Nase der Dame an der Basis sehr breit sein muß. Solche Nasen sind gewöhnlich kurz und plump, doch gibt es davon hinreichend viele Ausnahmen, die mir verbieten, dogmatisch auf diesem Punkt meiner Beschreibung zu beharren. Ich selbst habe schon ein schmales Gesicht, und doch kann ich meine Augen nicht einmal in die Nähe des Mittelpunkts dieser Gläser bringen. Daraus folgt, daß die Augen der Dame sehr dicht zusammen stehen. Sie werden bemerken, Watson, daß die Gläser konkav und von ungewöhnlicher Stärke sind. Eine Dame, deren Sehvermögen ihr ganzes Leben lang derart eingeschränkt war, weist mit Sicherheit die physischen Merkmale eines solchen Sehvermögens auf; selbige zeigen sich auf der Stirn, an den Lidern und den Schultern.«
»Ja«, sagte ich, »ich vermag jedem Ihrer Argumente zu folgen. Jedoch muß ich gestehen, daß ich nicht nachvollziehen kann, wie Sie auf den doppelten Besuch beim Optiker kommen.«
Holmes nahm die Brille in die Hand.
»Sie werden bemerken«, sagte er, »daß die Nasenbügel mit kleinen Korkstreifen besetzt sind, welche den Druck auf die Nase mildern sollen. Einer davon ist verfärbt und schon leicht abgenutzt, aber der andere ist neu. Offenbar hat sich einer gelöst und ist ersetzt
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