Die Rückkehr des Sherlock Holmes
in hohen Kreisen, Watson – knisterndes Papier, das Monogramm ›E.B.‹, das Wappen, die pittoreske Anschrift. Ich glaube, Freund Hopkins wird seinem Ruf gerecht werden, und wir werden einen interessanten Morgen haben. Das Verbrechen wurde letzte Nacht vor zwölf Uhr verübt.«
»Wie kommen Sie nur darauf?«
»Ich habe die Züge überprüft und die Zeit berechnet. Die Ortspolizei mußte gerufen werden, die mußte wiederum mit Scotland Yard in Verbindung treten, Hopkins mußte herausfahren, und er mußte wiederum nach mir schicken lassen. Das alles nimmt eine ganze Nacht in Anspruch. Nun, das hier ist Chislehurst Station, und bald werden unsere Zweifel behoben sein.«
Eine Fahrt über einige Meilen schmaler Landstraßen brachte uns an ein Parktor, das uns von einem alten Pförtner geöffnet wurde, dessen verstörtes Gesicht von irgendeinem beträchtlichen Unglücksfall kündete. Der Weg lief unter alten Ulmen hin durch einen stattlichen Park und endete vor einem flachen, weitläufigen Haus, dessen Vorderfront nach Art Palladios mit Säulen geschmückt war. Der mittlere Teil, ganz in Efeu gehüllt, war offenbar schon sehr alt, doch wiesen die großen Fenster auf neuzeitliche Restaurierungsarbeiten hin, und ein Flügel des Gebäudes schien vollkommen neu zu sein. Aus der offenen Eingangstür sah uns die jugendliche Gestalt und das muntere, ungeduldige Gesicht von Inspektor Stanley Hopkins entgegen.
»Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind, Mr. Holmes. Und Sie auch, Dr. Watson! Aber wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, würde ich Sie wirklich nicht herbemüht haben, denn seit die Lady wieder zu sich gekommen ist, hat sie einen so deutlichen Bericht von der Sache abgegeben, daß uns kaum noch etwas zu tun übrigbleibt. Sie erinnern sich doch an diese Einbrecherbande aus Lewisham?«
»Was – die drei Randalls?«
»Genau; der Vater und seine zwei Söhne. Es ist ihr Werk, daran ist kein Zweifel. Vor zwei Wochen haben sie in Sydenham ein Ding gedreht, wobei sie beobachtet und beschrieben wurden. Ziemlich unverfroren, so schnell und so in der Nähe noch was zu unternehmen; aber sie waren es, ganz zweifellos. Diesmal wird es sie an den Galgen bringen.«
»Sir Eustace ist demnach tot?«
»Ja; man hat ihm mit seinem Schürhaken den Schädel eingeschlagen.«
»Sir Eustace Brackenstall, wie ich vom Kutscher gehört habe.«
»Jawohl – einer der reichsten Männer in Kent. Lady Brackenstall ist im
morning-room.
Die arme Frau, sie hat ganz Fürchterliches mitgemacht. Sie wirkte halb tot, als ich sie zum erstenmal sah. Ich denke, Sie sollten am besten zu ihr gehen und sich von ihr die Tatsachen berichten lassen. Danach werden wir zusammen das Speisezimmer untersuchen.«
Lady Brackenstall war keine gewöhnliche Person. Selten habe ich eine so anmutige Figur gesehen, eine so weibliche Erscheinung und ein so schönes Gesicht. Sie war goldblond, hatte blaue Augen und hätte zweifellos jene vollkommene Hautfarbe gehabt, die diesem Typus eigen ist, wenn ihr jüngstes Erlebnis sie nicht mit Schmerz und Verhärmung gezeichnet hätte. Sie litt sowohl körperlich als auch geistig, denn über einem Auge erhob sich eine scheußliche, pflaumenfarbene Schwellung, die ihr Dienstmädchen, eine große, strenge Frau, emsig mit Wasser und Essig benetzte. Die Lady lag erschöpft auf einer Couch, doch ließen ihr rascher, aufmerkender Blick, als wir das Zimmer betraten, und der wachsame Ausdruck auf ihren schönen Zügen erkennen, daß weder ihr Verstand noch ihr Mut von dem schrecklichen Erlebnis erschüttert worden waren. Sie war in einen weiten, blausilbernen Morgenmantel gehüllt, doch lag auf der Couch neben ihr ein mit Ziermünzen geschmücktes Abendkleid.
»Ich habe Ihnen doch schon alles erzählt, Mr. Hopkins«, sagte sie verdrießlich; »könnten Sie es nicht für mich wiederholen? Nun, wenn Sie es für nötig halten, so werde ich diesen Gentlemen erzählen, was vorgefallen ist. Sind sie schon im Speisezimmer gewesen?«
»Ich hielt es für besser, daß sie zuvor Euer Ladyship Bericht vernähmen.«
»Es soll mich freuen, wenn Sie die Sache erledigen können. Der Gedanke, daß er noch immer da liegt, ist mir entsetzlich.« Sie schauderte und vergrub ihr Gesicht einen Augenblick in ihren Händen. Dabei gab der lose Mantel ihren Unterarm frei, und Holmes stieß hervor:
»Sie haben ja noch mehr Verletzungen, Madam! Was ist das?« Zwei deutliche rote Flecken stachen von einem der weißen runden Glieder ab. Sie bedeckte
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