Die Rückkehr des Sherlock Holmes
es hastig.
»Das ist nichts. Es hat mit der scheußlichen Sache von letzter Nacht nichts zu tun. Wenn Sie und Ihr Freund Platz nehmen wollen, werde ich Ihnen alles erzählen, was ich kann.
Ich bin Sir Eustace Brackenstalls Frau. Wir haben vor etwa einem Jahr geheiratet. Es hat wohl keinen Zweck, wenn ich zu verheimlichen suche, daß unsere Ehe nicht glücklich gewesen ist. Ich furchte, alle unsere Nachbarn würden Ihnen das erzählen, selbst wenn ich versuchen sollte, es abzustreiten. Die Schuld liegt vielleicht zum Teil bei mir. Ich wurde in der freieren, weniger konventionellen Atmosphäre Südaustraliens erzogen, und dieser englische Lebensstil mit seinen Anstandsregeln und Förmlichkeiten sagt mir überhaupt nicht zu. Der Hauptgrund aber liegt in der einen Tatsache, die auch jedermann bekannt ist, daß nämlich Sir Eustace ein Gewohnheitstrinker war. Es ist widerwärtig, mit einem solchen Mann auch nur eine Stunde zu verbringen. Können Sie sich vorstellen, was es für eine sensible und stolze Frau bedeutet, Tag und Nacht an ihn gebunden zu sein? Es ist ein Frevel, ein Verbrechen, eine Niedertracht, zu behaupten, daß eine solche Ehe bindend sei. Ich sage, diese Ihre ungeheuerlichen Gesetze werden einen Fluch über das Land bringen – der Himmel wird eine solche Schande nicht andauern lassen.« Sie setzte sich kurz auf, ihre Wangen röteten sich, und ihre Augen flammten unter dem schrecklichen Mal auf ihrer Stirn. Dann drückte die kräftige, beschwichtigende Hand des strengen Dienstmädchens ihren Kopf wieder auf das Kissen, und ihr maßloser Zorn erstickte in leidenschaftlichem Schluchzen. Schließlich fuhr sie fort:
»Ich will Ihnen von der vorigen Nacht erzählen. Ihnen ist vielleicht bekannt, daß sämtliche Dienstboten dieses Hauses in dem modernen Flügel schlafen. In diesem mittleren Teil hier befinden sich die Wohnräume, dahinter die Küche und oben unser Schlafzimmer. Mein Mädchen Theresa schläft oben in meinem Zimmer. Sonst ist dort niemand, und kein Geräusch könnte die Leute in dem entfernten Flügel wecken. Dies muß den Räubern wohlbekannt gewesen sein, sonst wären sie nicht so vorgegangen.
Sir Eustace hat sich um halb elf zurückgezogen. Die Diener waren schon in ihre Unterkünfte gegangen. Nur mein Mädchen war noch auf; sie war in ihrem Zimmer ganz oben im Haus geblieben, bis ich ihre Dienste brauchte. Ich saß, in ein Buch vertieft, bis nach elf in diesem Zimmer. Dann machte ich einen Rundgang, um zu sehen, ob alles in Ordnung wäre, ehe ich nach oben ginge. Es war meine Angewohnheit, dies selbst zu tun, da auf Sir Eustace, wie ich schon sagte, nicht immer Verlaß war. Ich ging in die Küche, den Anrichteraum, den Gewehrraum, das Billardzimmer, den Salon und schließlich in das Speisezimmer. Als ich mich dem Fenster näherte, das mit schweren Vorhängen bedeckt ist, spürte ich plötzlich, wie mir der Wind ins Gesicht wehte, und ich bemerkte, daß es offenstand. Ich zog den Vorhang auf und sah mich einem breitschultrigen älteren Mann gegenüber, der eben in das Zimmer gestiegen war. Das Fenster ist so ein hohes französisches, eigentlich eine Tür, die auf den Rasen hinausführt. Ich hielt meine brennende Schlafzimmerkerze in der Hand, und in ihrem Licht sah ich hinter dem ersten Mann zwei weitere hereinkommen. Ich trat zurück, aber der Kerl stürzte sich sofort auf mich. Zuerst packte er mich am Handgelenk und dann bei der Kehle. Ich machte den Mund auf, um zu schreien, doch er gab mir einen brutalen Schlag mit der Faust übers Auge und warf mich zu Boden. Ich muß ein paar Minuten bewußtlos gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, stellte ich fest, daß sie die Glockenschnur abgerissen und mich fest an den Eichenstuhl am Kopfende des Eßzimmertischs gebunden hatten. Ich war so stark gefesselt, daß ich mich nicht bewegen konnte, und ein Taschentuch vor meinem Mund hinderte mich daran, irgendeinen Ton von mir zu geben. In diesem Augenblick betrat mein unglücklicher Mann das Zimmer. Offenbar hatte er etwas Verdächtiges gehört, und er war vorbereitet auf eine solche Szene, wie er sie nun antraf. Er war mit Hemd und Hosen bekleidet und trug seine Lieblingskeule aus Schwarzdorn in der Hand. Er stürzte sich auf einen der Einbrecher, aber ein anderer – es war der ältere – bückte sich, nahm den Schürhaken aus dem Kamin und versetzte ihm damit einen furchtbaren Schlag. Er brach, ohne einen Ton von sich zu geben, zusammen und rührte sich nicht mehr. Ich fiel wieder in
Weitere Kostenlose Bücher