Die Rückkehr des Sherlock Holmes
feiner Kerl, und ich werde Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Aber eins will ich gleich sagen: Soweit ich davon betroffen bin, bedaure ich nichts und fürchte ich nichts, und ich würde es wieder tun und stolz darauf sein. Das verfluchte Scheusal – und wenn er so viele Leben hätte wie eine Katze, er wäre mir alle schuldig! Aber es geht um die Lady, um Mary – Mary Fraser –, denn nie werde ich sie bei diesem verfluchten Namen nennen. Die Vorstellung, daß ich sie in Schwierigkeiten bringen könnte, ich, der ich mein Leben für ein Lächeln auf ihrem lieben Gesicht hingeben würde – das ist es, was mich so unschlüssig sein läßt. Und doch – und doch – was hätte ich denn tun sollen? Ich erzähle Ihnen meine Geschichte, Gentlemen, und dann werde ich Sie von Mann zu Mann fragen, was ich denn hätte tun sollen.
Ich muß ein wenig ausholen. Da Sie alles zu wissen scheinen, gehe ich davon aus, daß Sie auch wissen, daß ich sie auf der
Rock of Gibraltar
kennengelernt habe – sie war Passagier und ich der Erste Offizier auf diesem Schiff. Von dem Tag an, da ich sie zum ersten Mal sah, gab es keine andere Frau mehr für mich. Mit jedem Tag dieser Fahrt liebte ich sie mehr, und manchesmal habe ich seither in der Dunkelheit der Nachtwache auf den Knien gelegen und das Deck dieses Schiffes geküßt, über das ihre teuren Füße gewandelt waren. Sie war nie mit mir verlobt. Sie hat mich so fair behandelt, wie eine Frau einen Mann nur behandeln kann. Ich kann mich nicht beklagen. Ich hegte nichts als Liebe zu ihr, und sie nichts als gute Kameradschaft und Freundschaft zu mir. Als wir voneinander schieden, war sie eine freie Frau, ich aber konnte nie mehr ein freier Mann sein.
Als ich von der nächsten Fahrt heimkehrte, hörte ich von ihrer Hochzeit. Nun, warum sollte sie nicht heiraten, wen sie wollte? Titel und Geld – wer konnte dies besser tragen als sie? Sie war zu allem Schönen und Erlesenen geboren. Ich grämte mich nicht über ihre Hochzeit. Solch ein egoistischer Hund war ich nicht. Ich freute mich nur, daß sie Glück gehabt hatte und daß sie sich nicht an einen unbemittelten Seemann weggeworfen hatte. So habe ich Mary Fraser geliebt.
Nun, ich glaubte, sie nie wiederzusehen. Aber zur letzten Fahrt wurde ich befördert, und das neue Schiff war noch nicht vom Stapel gelaufen, so daß ich ein paar Monate bei meiner Familie in Sydenham warten mußte. Eines Tages begegnete ich auf einer Landstraße Theresa Wright, ihrem alten Dienstmädchen. Sie erzählte mir von ihr, von ihm, von allem. Ich sag Ihnen, Gentlemen, das hat mich fast verrückt gemacht. Dieser versoffene Hund – daß er es wagen sollte, seine Hand gegen sie zu erheben, deren Stiefel er nicht wert war zu lecken! Ich traf mich wieder mit Theresa. Dann traf ich mich mit Mary selbst – und dann noch einmal. Danach wollte sie mich nicht wiedersehen. Tags darauf aber erhielt ich die Nachricht, daß ich in einer Woche meine Fahrt anzutreten hatte, und ich beschloß, sie noch einmal zu besuchen, ehe ich abfuhr. Theresa war immer meine Freundin gewesen, denn sie liebte Mary und haßte diesen Schurken beinahe ebenso sehr wie ich. Von ihr erfuhr ich die Gewohnheiten des Hauses. Mary pflegte nachts in ihrem kleinen Zimmer unten zu lesen. Vorige Nacht schlich ich mich dorthin und kratzte an ihrem Fenster. Zuerst wollte sie mir nicht aufmachen, aber ich weiß jetzt, daß sie mich in ihrem Herzen liebt; sie konnte mich nicht in der eisigen Nacht draußen stehen lassen. Sie flüsterte mir zu, ich solle zu dem großen Vorderfenster herumkommen, und ich fand es offen, so daß ich in das Speisezimmer gehen konnte. Wieder hörte ich von ihren Lippen Dinge, die mein Blut zum Kochen brachten, und wieder verfluchte ich diesen Unmensch, der meine Geliebte so mißhandelte. Nun, Gentlemen, ich stand mit ihr in aller Unschuld im Fenster, so wahr mir Gott helfe, als er wie ein Irrer in das Zimmer gestürzt kam, sie auf die allerübelste Weise beschimpfte und ihr mit dem Stock in seiner Hand einen Schlag ins Gesicht versetzte. Ich hatte mir den Schürhaken geschnappt, und es entstand ein fairer Kampf zwischen uns. Hier auf meinem Arm sehen Sie, wohin mich sein erster Hieb traf. Dann war ich an der Reihe, und ich habe ihn zerschmettert wie einen faulen Kürbis. Sie denken, das hat mir leid getan? Mir nicht! Es galt sein Leben oder meins; viel mehr noch – es galt sein Leben oder das ihre, denn wie konnte ich sie in der Gewalt dieses Irren lassen? So habe ich ihn
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